In Leipzig soll eine marode Unterkunft für Asylbewerber geschlossen werden und die Stadtverwaltung will die dort lebenden Menschen auf sieben Unterkünfte in der Stadt verteilen. Sie erhofft sich davon eine stärkere Integration der Menschen in die Gesellschaft und auch bessere Lebensbedingungen. Doch die Anwohner der betroffenen Viertel wehren sich mit rassistischen Argumenten. Eine Bestandsaufnahme.

Dieser Tage schaut man besser nicht in die Online-Ableger der einschlägig bekannten Leipziger Medien. Schnell käme einem der Verdacht, die Messestadt könnte demnächst ihr ganz eigenes Mügeln erleben. Zu hasserfüllt und menschenverachtend, zu rassistisch sind die Kommentare, als dass man zu einem anderen Schluss gelangen könnte. Da werden Ausländer für die Vermüllung des Stadtteils verantwortlich gemacht, für Kriminalität sowieso. Die eigenen Kinder wähnt man in Gefahr, wenn sie allein von der Schule nach Hause kommen, weil bald Ausländer in den Bussen der Leipziger sitzen werden. Und dann arbeiten die noch nicht einmal, sondern betteln lieber in der Innenstadt. Abends fahren sie in ihren BMWs und Mercedes von dannen. Ausländer eben.

Das ist das World Wide Web. Dem sagt man nicht ganz zu Unrecht nach, dass Diskussionen dort heißer und respektloser geführt würden, weil man anscheinend anonym ist. Dort trauten sich die Spinner eben eher, ihre Meinung frei zu äußern. Doch auch im wahren Leben sieht es in Leipzig kaum anders aus. In der Messestadt rülpsen die Menschen ihren Fremdenhass und ihre rassistische Einstellungen in die Kamera oder geben ihr Gedankengut in Bürgersprechstunden von sich. Je nach Austragungsort des Disputs unterschiedlich feindselig, unterschiedlich eloquent. Gern fangen sie an mit: „Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber …“

Ausländer als Fremdkörper in der städtischen Gesellschaft

Ausgerechnet im Grünauer Freizeittreff mit dem Namen Völkerfreundschaft wird die rassistisch motivierte Ablehnung gegen Asylbewerber besonders deutlich. Da wird nämlich ein Konzept zur dezentralen Unterbringung von Flüchtlingen diskutiert. Dieses auszuarbeiten, hat die Stadt 2010 entschieden, nachdem verschiedene Initiativen Druck ausgeübt hatten. Im Mai wurde es vorgestellt, im Juni wird es in den einzelnen Stadtbezirksbeiräten debattiert, so auch in Grünau. Denn eine der neuen Einrichtungen soll in dem Stadtteil stehen. Zumeist sollen nicht mehr als 50 Menschen in einem Haus leben. Nur für die Grünauer Unterkunft plant die Stadt bis zu 180 Bewohner. Das ginge nicht anders, sagt sie, denn die Zeit dränge. Leipzig müsse wegen erhöhter Zuweisungszahlen auf das Gebäude in der Weißdornstraße ausweichen. Prompt formiert sich Widerstand. Nicht nur in Grünau.

Sich selbst bezeichnen die Gegner als besorgte Bürger. Doch in den Sitzungen der Stadtbezirksbeiräte wird eines sehr schnell klar: Ausländer sind hier schlicht unerwünscht. So erregt sich ein Anwohner, ob er denn jetzt immer Angst haben müsse, wenn seine Frau abends allein von Arbeit komme. Ein anderer beschwert sich: „Da wird an kirchlichen Feiertagen orientalische Musik abgeleiert.“ An diesem Abend werden noch viele Vorwürfe folgen. Auch das Wort „Scheinasylant“ wird fallen. Leipzig. 2012.

Gegenwärtig leben die Ausländer, vor denen die Leipziger Angst haben, zusammengepfercht in einem großen Gebäudekomplex in der Torgauer Straße. Das Gebäude ist heruntergekommen und liegt weit abgeschlagen am Rande der Stadt. Von einer Integration in die Leipziger Gesellschaft kann keine Rede sein. Mit der dezentralen Unterbringung soll sich das jetzt ändern. Doch die Einschätzung einer Frau, die kein Problem hat, ihre Abscheu in die Kamera zu sprechen, steht bildhaft für ein verkrampftes Verhältnis zu Fremden: „Die müssen nicht unbedingt hierhin, weil hier ist ja ein Wohngebiet und das passt halt nicht hierher“.

Manchmal argumentieren Leipziger ganz besonders hinterhältig, indem sie ihre Ressentiments in humanistische Ideale kleiden, so z.B. in Wahren, wo eine Unterkunft mit 70 Asylbewerbern eingerichtet werden soll. Es sei doch eine Zumutung für die armen Ausländer, wenn so viele von ihnen in einem Gebäude leben müssten. Dass die Menschen bisher in der heruntergekommenen Torgauer Straße 290 hausen müssen, stört die Wahrener aber nicht. Daher lässt Benjamin W. diese Aussage auch nicht gelten. W. ist Mitinitiator der AG Dezentralisierung: Jetzt!, einer Initiative, die sich für die dezentrale Unterbringung von Asylbewerbern in der Messestadt einsetzt. „Das ist wenig glaubwürdig, da es den Menschen bislang nicht um die Asylsuchenden ging, sondern um die eigene Scholle. Es gab genügend Möglichkeiten, sich bereits vor der Debatte zu informieren und aktiv zu werden. Das haben die wenigsten getan.“

Widerliche Argumente in einer feindseligen Debatte

Die Grünauer, die in ihrer Argumentation nicht ganz so gelenk sind wie die Eigenheimbesitzer in Wahren, fordern gar einen Zaun um die Unterkunft. Aber eigentlich dürfe da kein Zaun mehr stehen, argumentiert jemand. Denn auf dem Gebiet der Weißdornstraße habe doch mal ein KZ-Außenlager gestanden. Also dürften auch nicht die Asylanten da hin. Kein Zaun. Keine Ausländer. So einfach geht das in Leipzig. Der Einwand vom Podium, es müsse zwar eine Abgrenzung vorhanden sein, dürfe aber auch aus einer Hecke bestehen, wird vom Publikum verlacht. Überhaupt wird an diesem Abend viel gelacht.

Die Debatte, wie sie aktuell in Leipzig geführt wird, entspricht so gar nicht der Darstellung der Stadt als weltoffene Metropole. Ganz im Gegenteil wird verdeutlicht: Rassismus ist nicht nur ein Randphänomen, nicht nur Einstellung tumber Neonazis, wie sich der Osten gern verteidigt. Nein, hier wird Rassismus von der Mitte der Gesellschaft artikuliert, er wird gelebt. Es gibt keine stichhaltigen Argumente, die gegen eine Integration von Ausländern in die einzelnen Stadtteile sprächen. Die Anwohner bekunden lediglich: Wir haben Angst. Warum, das können oder wollen sie nicht belegen.

Aber auch in Leipzig geht es anders. Gleiches Thema, anderer Stadtbezirksbeirat. der SBB Nord muss ebenfalls über das Konzept entscheiden, weil in der Eythstraße eine Unterkunft mit 30 Menschen eingerichtet werden soll. Zu der Veranstaltung erscheinen verhältnismäßig wenige Menschen, wenn auch der Bezirksrat erklärt, dass deutlich mehr Besucher da seien als sonst. Zwanzig, vielleicht dreißig zumeist junge Menschen hören dem Vortrag zu. Zivilisiert. In den vergangenen Tagen war das nicht immer der Fall. Nachdem Sozialbürgermeister Fabian mit der Vorstellung des städtischen Integrationsplans durch ist, stellen der Bezirksbeirat und einige Gäste Fragen zum Konzept. Am Ende wird es vom SBB mit nur einer Enthaltung angenommen. Und das, obwohl in der Eythstraße insbesondere Menschen mit seelischen Störungen oder Drogenproblemen unterkommen sollen. Die Stadt plant, hier eine stärkere Betreuung zu gewährleisten. Außerdem ist das Klinikum Sankt Georg nahe gelegen. Ja, Leipzig hat auch ein anderes Gesicht. Negativ sticht lediglich ein Grünauer hervor, der extra zur Sitzung des SBB Nord gekommen ist. Der will wissen, welchen Nationalitäten die Asylbewerber angehören. Als hätte die Abstammung bedeutsame Auswirkungen auf das Umfeld. Gekicher im Saal.

Änderungen am Entwurf angekündigt

Für die Menschen, die die Hilfe der Stadt brauchen, hat der Protest von beiden Seiten zumindest einen Vorteil: Sozialbürgermeister Fabian sichert auf der Sitzung des SBB Nord nochmals zu, dass der geplante Standort in Wahren, anders als im Konzept kalkuliert, jetzt definitiv nur noch 50 Menschen aufnehmen wird. Und auch für Grünau ist er sich sicher, dass die Einrichtung von zurzeit 180 vorgesehenen Plätzen deutlich reduziert werde. Genaue Zahlen nennt er jedoch nicht. Benjamin W. sagt dazu: „Wir finden es generell gut, wenn weniger Asylsuchende auf engem Raum leben müssen. Auch die Unterbringung von rund 200 Bewohnern in der Weißdornstraße ist kein dezentrales Wohnen“.

Zudem zeigte sich: Durch die angeheizte Debatte meldeten sich jetzt mehr Leipziger beim Flüchtlingsrat, weil sie gern eine Patenschaft für Asylbewerber übernehmen wollen und fragen, was sie tun können. Eine Antwort gibt es darauf noch nicht, da das Modell bisher nicht abschließend ausgearbeitet sei.

Rauher Wind bläst indes aus der ganz rechten Ecke: Die NPD will die Abneigung der Leipziger gegen die Ausländer für sich nutzen und fordert: „Außerhalb der Sammelunterkunft in der Torgauer Straße muss Leipzig asylantenfrei bleiben“. Wenn die „hergelaufenen Asylanten“ zwangsumgesiedelt würden, so die Partei auf ihrer Webseite, müsse sich die Stadt auf eine „massive Öffentlichkeitskampagne“ gefasst machen. Von den Bürgern, die sich gegen die Ausländer aussprechen, ist nicht bekannt, dass sie sich von der NPD distanziert hätten.

Bild: Wikimedia Commons, CC-BY

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