Was macht Rassismus eigentlich mit den Menschen, die davon betroffen sind? Neben den vielen, vielen Effekten, die ich schon so oft in meinem Blog beschrieben habe, bewirkt Rassismus vor allem auch eines: Er macht Menschen klein.

Du kannst noch so sehr auf der Hut sein: Rassismus erwischt dich immer und überall. Und wenn ein Arschloch ihn dir ins Gesicht kotzen muss. Das hat nicht nur Auswirkungen auf dein Befinden, sondern auch auf die Körperhaltung und Ausstrahlung. Von Rassismus betroffene Menschen bekommen kontinuierlich demonstriert, wo ihr Platz in der weißen Mehrheitsgesellschaft ist.

Wo? Nicht oben. Obviously.

Gerade bei den täglichen rassistischen Angriffen und Ausgrenzungen, die ich im vergangenen Jahr in Leipzig erlebte, hatte ich den Eindruck, dass man mir nicht zugestehen wollte, glücklich oder stolz zu sein. Wann immer ich angespuckt wurde, war ich gerade glücklich, oder wenigstens zufrieden. Ich denke, dass die Täter das auch spüren konnten. Danach sollte ich eben spüren, dass das so nicht sein darf.

Überhaupt ist Stolz anscheinend ein Gefühl, das weiße Menschen oft nicht ertragen können, wenn sie es bei einem schwarzen Menschen spüren. Stolz zu sein bedeutet, sich selbst hoch zu achten, sich wertzuschätzen, Selbstbewusstsein zu haben. Man geht ganz automatisch anders. Die Brust geschwellt, der Gang aufrecht. Man ist präsent, man nimmt sich Raum.

Als ich nach Mannheim zog, fiel mir auf, dass schwarze Kinder hier viel lauter und lebendiger sind, sich hier also viel mehr Raum nehmen, als ich das aus meiner eigenen Kindheit und auch von anderen schwarzen Menschen aus Leipzig kenne. Man ist vorsichtig, immer auf der Hut. Nach außen hin zeigt sich das daran, dass man sich klein macht. Denn Rassismus nimmt Menschen nicht nur die Luft zu atmen, sondern auch den Raum sich zu entfalten.

Beim Bundestreffen bin ich andauernd mit anderen schwarzen Menschen zusammengestoßen. Nicht nur, weil wir so viele waren! *whoop whoop* Mein Gott, waren die da alle präsent. Auch ich habe gemerkt, dass ich beim BT viel ausladender gestikuliert habe, als ich das sonst in der weißen Gesellschaft mache. Mir fiel das erst wieder in Mannheim auf, als mein Wirkungskreis viel kleiner wurde. Das lief völlig unbewusst ab. Obwohl ich mit Mannheim praktisch nur Gutes verbinde, haben meine Leipzig-Erfahrungen Spuren hinterlassen.

Ich wollte das Thema Stolz und Entfaltung eigentlich auch in meinem Beitrag zum Bundestreffen aufgreifen. Da ich an dem aber noch eine Weile sitzen werde, hielt ich es für eine gute Idee, dem Thema ein bisschen mehr Raum zu geben. Denn: Kürzlich schrieb mir mein Freund Vincent, der ebenfalls in Leipzig lebt und von der Stadt zurzeit, ich sach mal, eher mittelprächtig begeistert ist.

Und das kam so:

Seitdem ich nach einem längeren Auslandsaufenthalt wieder in Leipzig lebe, habe ich häufig mit starken Verspannungen zu kämpfen, die teilweise so heftig sind, dass ich nicht richtig schlafen kann und wirklich unschöne Momente in meiner Gefühlswelt erlebe. „Tja, Stress!“, denk‘ ich mir. Bisher hatte ich den Auslöser dafür in meinem Studium sowie meinen Nebenjobs gesehen. Dass meine Rassismuserfahrungen auch nicht gerade Entspannung bringen würden, hatte ich nur vermutet. Gestern nun aber wurde mir endgültig klar, dass Rassismus keine Nebenrolle spielt, sondern hauptsächlich dafür verantwortlich ist, wenn mein Stresslevel durch die Decke geht.

Es fing eigentlich alles ganz schön an. Ich traf mich mit einer Frau, die ich vor einiger Zeit in einer Bar kennenlernte. Und ich freute mich darüber, nach einem sehr arbeitsintensiven Semester mal wieder etwas für mich zu machen, nämlich jemanden zu daten. Wir gingen in das Coffee Culture gegenüber des neuen Seminargebäudes, bestellten uns etwas zu trinken und setzten uns nach draußen, um etwas zu quatschen.

Nach einem etwas holprigen Start redeten wir über Gott und die Welt und verstanden uns gut. Als sie mir gerade eine lange Liste mit mexikanischen Bands aufschrieb, stand plötzlich ein junger Typ, vielleicht Anfang 20, viel zu dicht neben mir. Ich war erst irritiert, schaute dann aber zu ihm hoch.

„Entschuldigung … Was willst du?“
„Was macht ihr da?“
„Ähm, das geht dich gar nichts an?“
„Doch, ich bin vom Sicherheitsdienst.“
„Das mag ja sein, aber könntest du uns bitte einfach in Ruhe lassen!?“
„Naja, ich muss ja erstmal sichergehen, dass ihr keine Bomben baut.“

Er lacht.

„Ich find das nicht witzig. Kannst du bitte einfach weitergehen?“
„Nein. Woher kommt ihr? Du bist doch aus Afrika, oder? Und die da, ist das deine Freundin?“
„Ich bin dir keine Antwort schuldig. Das ist eine Freundin, sie schreibt mir eine Liste mit Bands auf und jetzt geh‘ und lass uns in Ruhe!“
„Nein! Ich gehe erst, wenn du mir sagst woher du kommst!“

Der Typ wird echt ungemütlich. Er nimmt eine drohende Haltung ein und kommt noch näher ran. Ich bleibe trotzdem ruhig, verbiete mir mal wieder, in Leipzig auszurasten. Ich schaue ihn fest an.

„Ich bin Berliner. Und jetzt geh!“
„Aber deine Eltern sind doch Ausländer!“
„Nein, lass uns jetzt in Ruhe!“

Das Gespräch geht so noch eine Weile weiter. Ich möchte nicht alles wiederholen, nur so viel: Es war sehr verletzend. Am Ende verabschiedet er sich mit einem Wasserfall an Beschimpfungen, zuletzt: „Ihr beide seid eine Beleidigung für meine Augen!“ Sagt es und geht breit grinsend davon.

Die Stimmung war im Eimer. Auch die beruhigend gemeinten Worte meines Gegenübers konnte nicht helfen: „Mach dir nichts draus, ich kenne das sehr gut. Die Wohnungssuche in Leipzig war schrecklich. Ständig habe ich Absagen von Vermietern bekommen oder Menschen wollten mich nicht in ihrer WG haben; angeblich weil ich nicht richtig Deutsch spreche.“

Ich bat sie darum, mit mir Richtung Volkmarsdorf zu laufen, wo wenigstens ein paar POCs in Kackzig wohnen. Schnell in ein sicheres Gebiet, schnell nach Hause. Unsere Gespräche nahmen eine drastische Wendung. Ab da ging es nur noch um Deutschland, Kulturen, Gefahren, Rassismus — und den Wunsch nach Berlin zu ziehen.

Ich mochte Victor Klemperers Satz immer sehr gern: „Worte können sein wie winzige Arsendosen, sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“

Das gestern war eine Überdosis. Ich lag gestern Nacht im Bett, mein Rücken war steinhart, und ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich wieder einmal ruhig geblieben bin, wieder einmal geschluckt habe.

Manchmal habe ich keine Lust mehr auf Leipzig.

Verständlich.

Obwohl Vincent sehr deutlich gemacht hat, dass er an keiner Konversation mit dem Rassisten interessiert ist, und obwohl er deutlich gemacht hat, dass den Typen private Dinge nichts angehen, wurde er dazu genötigt, doch Informationen preiszugeben. Zum Dank wurden er und sein Date, ebenfalls POC, aufs Übelste beleidigt. Der Typ hat willentlich und wissentlich mehrere Grenzen überschritten, oder besser: angegriffen. Er hat das getan, weil er wusste, dass er das kann. Er hat nämlich gelernt, dass er in Leipzig nicht daran gehindert wird. Er hat gelernt, dass er sich so breit machen kann, wie er will. Und offensichtlich bedeuten für ihn glückliche schwarze Menschen, dass er jetzt irgendwas weniger bekommt.

Hier waren zwei nichtweiße Menschen, den es gut ging. Und wieder hat eine Kartoffel dies vereitelt. Wieder wurden nichtweiße Menschen völlig notlos in ihre Schranken verwiesen. Wenn man es genau nimmt, sind das gar nicht ihre Schranken, sondern jene von Weißen. Ein Weißer hat abermals demonstriert, dass es für nichtweiße Menschen offenbar nicht erlaubt ist, sich zu entfalten und sich Raum zu nehmen.

Was hätte man mit der Kartoffel tun können? Zu Brei zu zerstampfen? Dieser Gedanke gefällt mir immer mehr.

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC

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