Scheiße! Jetzt hat’s auch Sie erwischt! Jemand hat Sie mit Rassismus in Verbindung gebracht. Neulich denken Sie in Ihrer illustren weißen Runde noch: «Hahaha, lustiges [Ihr Produkt] mit ’nem Kannibalen vorn drauf. Wird der Burner! Die Fans werden das LIE-BEN!» Bedauerlicherweise kam der Tag der Veröffentlichung so überraschend, dass sie es nicht mehr geschafft hatten, sich über den diskriminierenden und rassistischen Gehalt Ihres Materials zu informieren. Jetzt sind ein paar Menschen sauer auf Sie. Was tun? Wichtig: Nur nicht über- oder einschnappen. Ihre Reaktion sollte gut durchdacht sein. Das geht am besten, in dem Sie mit Unverständnis, Vorwürfen und Unterstellungen antworten. Hier steht, wie’s geht.

1. Seien Sie betroffen!
Zuerst einmal: Sie sind erschrocken und enttäuscht, dass da jetzt wirklich jemand Kritik geäußert hat. Wer konnte denn bei einem so homogenen Land wie Deutschland ahnen, dass es hier von Rassismus betroffene Menschen geben könnte. Dass die sogar genau benennen, was schief gelaufen ist, haut vollends dem Fass die Krone aus. Machen Sie also gleich zu Beginn unmissverständlich klar: «Ich bin erschrocken und enttäuscht».

2. Belehren Sie!
Nachdem Sie das erledigt haben, sollten Sie erst mal ein bisschen von oben herab belehren. Sie können zum Beispiel sagen, dass das, was Sie machen, Kultur ist, die streitbar sein könne. Alternativen: «Meinungsfreiheit!11!!», «Zensur!!!11», «Hamwa aber immer schon so gemacht!11!!» Verstärken Sie Ihre Belehrungen durch Wendungen wie «bekanntlich», «allgemein bekannt», «wie jeder weiß», «schon meine Oma hat». Damit wirken Sie informiert.

3. Haben Sie schwarze Freunde, je dunkler desto besser!
Wenn Sie in der Öffentlichkeit stehen, bietet es sich an, mit einem Mitglied einer marginalisierten Gruppe befreundet zu sein. In der Auseinandersetzung ist das ein Gewinn in dreierlei Hinsicht:

1. Sie können der Person die Verantwortung zuschieben. Immerhin hätte diese protestieren können. Ignorieren Sie vorhandene Machtgefüge, die die Person, die Sie kennen, womöglich veranlassen könnte, nicht kritisch auf rassistischen Bullshit zu reagieren. Pluspunkt: Sollte besagte Person gar keine Meinung dazu haben, dürfen Sie dies als vorbehaltlose Zustimmung werten.

2. Ihr Ausrutscher wirkt gleich viel unrassistischer. Von einem Katzenbesitzer würde man ja auch nicht erwarten, dass er Katzen hasst, obwohl er seine Katze hin und wieder mal «blödes Vieh» nennt.

3. Ihnen bietet sich die einmalige Möglichkeit, die Meinung der Person über die der Kritiker zu stellen, seien es auch noch so viele. Das ist wie eine Karte, der immer sticht: «Ja, aber ich habe einen schwarzen Freund, der das gar nicht doof findet.» Gleiches gilt übrigens auch, wenn sich vorher noch nie jemand bei Ihnen (!) über einen Sachverhalt beschwert hat: «Ich zum Beispiel habe noch nie einen Schwarzen getroffen, der daran Anstoß genommen hätte». Ignorieren Sie die Möglichkeit, dass Sie kreuzunsymphatisch sein könnten und schwarze Menschen deshalb nicht ausgerechnet zu Ihnen gerannt kommen, um über ihr Leben mit rassistischer Ausgrenzung zu berichten. Ignorieren Sie weiterhin, dass Rassismuserfahrungen sich nur sehr bedingt für Smalltalk eignen.

4. Beteuern Sie, kein Rassist zu sein!
Da nun offensichtlich doch jemand Anstoß genommen hat, müssen Sie ein für alle mal klarstellen, dass Sie kein Rassist sind, auch dann, wenn sie niemand Rassist genannt, Sie aber auf den Gebrauch rassistischer Begriffe und Bilder hingewiesen hat. Das zieht am besten, indem Sie Dinge aufzählen, die sie immer freisprechen. Die Top 3: «Ich habe schon für Afrika gespendet», «Ich habe schon Urlaub in Afrika gemacht» und «Ich habe selbst ausländische/afrikanische/[beliebige diskriminierte Gruppe] Freunde/Kollegen/Nachbarn».

Gegebenenfalls sollten Sie sich bei anderen Weißen rückversichern, dass bestimmte Begriffe nicht rassistisch sind. Je mehr Nichtbetroffene Sie fragen, desto besser. RTL würde in einem Beitrag über geänderte Begriffe in der kleinen Hexe ja auch nicht auf die absurde Idee kommen, Betroffene zu fragen, was sie davon halten.

5. Lamentieren Sie über Einschränkungen!
Seien Sie verwirrt! Es muss klar sein, dass Sie beim besten Willen nicht nachvollziehen können, woher die (massive) Kritik jetzt kommt und dass sie sich eingeschränkt fühlen. Sie könnten zum Beispiel öffentlich überlegen, wie sie ihre schwarze Freundin nennen, die im vermurksten Projekt involviert gewesen ist. Erwägen Sie bloß nicht, sie einfach selbst zu fragen. Sollte ein Verein auf Sie zugekommen sein, der die Benennung schon im eigenen Namen trägt, ignorieren Sie die bitte. Marotten wie Selbstbenennungspraxis wollen wir gar nicht erst einreißen lassen. Falls Sie doch eine Eigenbezeichnung verwenden wollen, dann bitte nur in Anführungsstrichen oder betont ironisch.1 Besser können Sie Distanz nicht ausdrücken.

6. Seien Sie paternalistisch!
Geben Sie Tipps, wie man adäquat auf Rassismus zu reagieren hat. Dabei sollten sie auch immer durchblicken lassen, dass die Kritiker sich das nur eingebildet haben oder zu sensibel sind. Ihr Tipps tragen Sie am besten vorwurfsvoll vor. Geht immer: Man muss doch nur mal das Gespräch suchen, bevor man solche Vorwürfe in den Raum stellt. Ignorieren Sie dabei auf jeden Fall, dass Sie vorher nicht auf die Idee gekommen sind, Ihr Produkt außerhalb Ihres weißen Dunstkreises zu testen. Ignorieren Sie weiter, dass die Menschen, die sich zu Wort gemeldet haben, Experten auf dem Gebiet von Rassismus sein könnten, weil sie diesem zum Teil viele, viele Jahrzehnte ausgesetzt waren und auch sind.

Bringen Sie ruhig Weisheiten Ihrer verstorbenen Verwandten. Das macht Sie irgendwie nachdenklich und Sie stellen sicher, dass Sie keine Kritik ernten, denn über Tote darf man ja nichts Schlimmes sagen. (Vorsicht: In bestimmten Fällen findet diese Regel keine Anwendung.)

Seien Sie zum Schluss noch mal schön herablassend und bezeichnen Sie Ihr vorwurfsvolles Plädoyer als Gesprächsangebot. Unterstellen Sie vorsichtshalber die Möglichkeit, dass eine konstruktive Kritik im Keim erstickt würde dürfte, Sie aber nichts dafür könnten. Immerhin sind Sie für Ihren monologischen Dialog über Ihren Schatten gesprungen.

7. Bonustipp: Binden Sie Ihre Fans ein!
Falls Sie eine Facebookseite haben, dann können Sie die kontinuierliche Reproduktion von Beleidigungen, diskriminierenden und rassistischen Begriffen und Kommentaren an Ihre «Fans» outsourcen. Wenn Sie nicht (adäquat) auf deren Entgleisungen reagieren, wirkt Ihre Stellungnahme, frei von jeder Art von Rassismus zu sein oder so etwas auch nur im entferntesten zu tolerieren, noch viel glaubwürdiger.

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Nachtrag, 28. Nov.: Knorkator hat, vielleicht weil die Band «erschrocken und enttäuscht» ist, wie viel Rassismus durch ihre Fans auf die Facebookseite gekippt worden war, die Reißleine gezogen und sowohl das verklärende und abstreitende Statement als auch das entsprechende Cover gelöscht.

Vielleicht hat die Band das alles auch nur deshalb gelöscht, weil sie keinen Bock mehr hatte, sich mit ihrer Scheiße auseinanderzusetzen. Das jedenfalls muss man annehmen, wenn man sich den Kommentar anschaut, der veröffentlicht wurde, nachdem jemand gefordert hatte, die betreffenden Materialen auch bei den Medienpartnern zu entfernen.

Show 1 footnote

  1. Nachtrag, 6. Dez.: Weil ich heute beim Mailfach aufräumen wieder darauf gestoßen bin, habe ich gleich noch Torsten Dewi (Wortvogel) verlinkt, der die Derailing-Strategien wie kein Zweiter beherrscht. Für seine Kommentare erlaube ich mir sogar eine Triggerwarnung.

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC

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