{"id":14631,"date":"2017-04-22T16:23:35","date_gmt":"2017-04-22T14:23:35","guid":{"rendered":"http:\/\/trollbar.de\/?p=14631"},"modified":"2024-06-14T17:10:48","modified_gmt":"2024-06-14T15:10:48","slug":"diversity-management-diskriminierung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/trollbar.de\/2017\/diversity-management-diskriminierung-14631","title":{"rendered":"Warum es trotz Diversity Management zu Diskriminierung kommt? Sicher nicht wegen der Diskriminierten!"},"content":{"rendered":"
Mir wurde ein Zeit-Artikel vom Januar<\/a> in die Timeline gesp\u00fclt, der mich mich sehr \u00e4rgert. In dem Artikel geht es um Diversity Management, also die Nutzbarmachung von Vielfalt. Daneben geht der Autor auf den Mechanismus der Belonging Uncertainty<\/em> ein, was so viel bedeutet wie: Unsicherheit \u00fcber die Zugeh\u00f6rigkeit. Wenn man Zweifel an der Zugeh\u00f6rigkeit zu einer Gruppe hat, etwa weil man die Codes (noch) nicht kennt, dann w\u00fcrde das Misserfolge beg\u00fcnstigen. Von dieser Unsicherheit sind laut einer Forschung, oh Wunder, besonders Minderheiten betroffen. So weit, so gut.<\/p>\n Was mir aber geh\u00f6rig stinkt, ist, dass der Autor die Verantwortung f\u00fcr den Misserfolg auf Betroffene auslagert. Das tut er gleich am Anfang, als er schreibt, man solle sich vorstellen, dass man zu einer Party eingeladen wurde. Als man jedoch endlich ankommt, „geht Ihnen auf, dass Sie in der Einladung etwas \u00fcbersehen haben<\/strong>: Alle Menschen sind komplett wei\u00df angezogen, nur Sie tragen farbige Kleidung.“<\/p>\n Bitte?<\/p>\n Erstens: Minderheiten, die in einer neuen Gruppe dazusto\u00dfen, wissen in der Regel sehr genau, dass ihnen „F\u00e4higkeiten“ fehlen, die f\u00fcr andere Menschen dieser Gruppe v\u00f6llig normal sind. Ich denke dabei etwa an Arbeiterkinder, die als erste in der Familie ein Studium ablegen. Viele Arbeiterkinder trauen sich ein Studium erst gar nicht zu, weil sie wissen, dass sehr viel abverlangt werden wird, was sie gar nicht kennen. Sie sind recht orientierungslos. Ich denke da auch an mein Essen im Casino von SAP, wo auf dem Tisch mehr Besteck und Gl\u00e4ser als notwendig standen und wo alle darauf gewartet haben, dass der Rangh\u00f6chste am Tisch sagt, wann mit dem Essen begonnen wird. Kannte ich nat\u00fcrlich alles aus dem Fernsehen. Aber denkt ihr, ich wusste an dem Tag noch, wie diese Gedeckregeln funktionieren? Es wird nat\u00fcrlich Vieles mittels trial and error<\/em> gelernt werden m\u00fcssen, weil es keinen Leitfaden f\u00fcr alles M\u00f6gliche gibt und geben kann.<\/p>\n Zweitens: Am meisten nervt mich, dass der Autor mit dem Kleidungsbeispiel suggeriert, dass das ja jedem passieren k\u00f6nnte, danach aber auf Minderheiten schwenkt. Und das ist der Knackpunkt: Das, was Minderheiten passiert, kann nicht jedem passieren. W\u00e4hrend man beim n\u00e4chsten Mal genauer auf vorgeschriebene Kleidung achten kann (ver\u00e4nderlich), kann man etwa die Hautfarbe nicht einfach abstreifen (nicht ver\u00e4nderlich), um zu irgendeinem Club zu geh\u00f6ren. Das hei\u00dft, man wird einfach weiter diskriminiert.<\/p>\n Wenn Diversity Management also scheitert, dann in erster Linie deshalb, weil der Ansatz nicht durch die komplette Belegschaft hindurch getragen oder wenigstens verstanden wird. Und weil es keine Sanktionen f\u00fcr Menschen gibt, die rassistisch oder anders motiviert Menschen diskriminieren.<\/p>\n Nehmen wir mal ein typisches Beispiel: Ikea. Das Unternehmen hat sich auf die Fahne geschrieben, Diversit\u00e4t in der Belegschaft zu f\u00f6rdern. Als ich mich damals bei Ikea um einen Nebenjob bewarb, wurde mir erz\u00e4hlt, dass man darum bem\u00fcht sei, die Bev\u00f6lkerungsstruktur des jeweiligen Standorts auch in der Belegschaft abzubilden. Die Mitarbieter in dem Gespr\u00e4ch hatten sogar Zahlen zum Migrationsanteil in dem Einrichtungshaus parat und man wunderte sich, warum deren Anteil an Bewerbern so viel geringer sei als der ohnehin schon geringe Anteil an der Bev\u00f6lkerung in Leipzig und Halle.1<\/a><\/sup><\/p>\n Es gab also ein zumindest rudiment\u00e4res Bewusstsein f\u00fcr Diversity und eine Ansage von oben. Aber hat das irgendwas gebracht? Nein, nat\u00fcrlich nicht. W\u00e4hrend des gesamten Gespr\u00e4chs und auch danach fiel im Zusammenhang mit Diversit\u00e4t niemals das W\u00f6rtchen „wir“. Das lag u.a. auch daran, dass weder Belegschaft noch F\u00fchrungskr\u00e4fte Diversity nur irgendwie verinnerlicht h\u00e4tten. Aber klar, wir reden zwar von Ikea, aber immer auch noch von Ostdeutschland, wo Personalverantwortliche zu zittern anfangen, wenn sie einen Schwarzen Jobinteressenten kennenlernen.<\/p>\n Gleich am ersten Tag merkte ich, wie sehr sich wei\u00dfe Mitarbeiter dagegen wehrten, mit Schwarzen zusammenzuarbeiten. Als mir die Arbeitsbereiche gezeigt wurden, wurde ich auch einer Kollegin im Kinderparadies vorgestellt. Denn dort sollte ich mit als erstes anfangen. Die normale Reaktion w\u00e4re jetzt gewesen: „Oh, sch\u00f6n, dich kennenzulernen. Ich bin Babette.“ So hat sie aber nicht reagiert. Neehee. Ihre erschrockene Reaktion war: „DAS GEHT AUF GAR KEINEN FALL! N\u00c4H!“ Erst danach suchte sie nach Ausreden, warum das jetzt alles v\u00f6llig unpraktisch sei.2<\/a><\/sup> W\u00e4hrend also wei\u00dfe Mitarbeiter ihre Energie darauf verwenden k\u00f6nnten, am ersten Arbeitstag einen sehr guten Eindruck zu hinterlassen, wurde ich damit konfrontiert, dass ich unerw\u00fcnscht bin. Meine Energie ging da nat\u00fcrlich daf\u00fcr drauf, nicht meine Kollegin zur Rede zu stellen, sondern stattdessen nett zu l\u00e4cheln. Warum? Beispiel 2.<\/p>\n Mein rassistischer Vorgesetzter bei Ikea. Der hatte die h\u00e4ssliche Angewohnheit, alle wei\u00dfen Mitarbeiter in unserem Bereich freundlich, zumindest jedoch nicht absch\u00e4tzig zu behandeln. Mich hat er bei jeder sich bietenden Gelegenheit dumm angemacht, angep\u00f6belt oder nicht gegr\u00fc\u00dft. Tja und dann gab es irgendwann Mitarbeitergespr\u00e4che, die man freiwillig wahrnehmen konnte. Da es mir bei Ikea ansonsten gut gefallen hat und ich mir vorstellen konnte, da auch l\u00e4nger zu arbeiten, habe ich das getan. W\u00e4hrend des Gespr\u00e4chs habe ich darauf hingewiesen, dass ich bitte genauso behandelt werden m\u00f6chte, wie alle anderen auch. Ich habe W\u00f6rter wie „Rassismus“ und „Diskriminierung“ vermieden, wohlwissend, dass Wei\u00dfe da gern \u00fcberreagieren.<\/p>\n Was ist dann geschehen? Denkt ihr, der wei\u00dfe Vorgesetzte, an den die Informationen weitergeleitet wurden, hat sein Verhalten reflektiert? Nat\u00fcrlich nicht. Er war zwar auf einmal schei\u00dffreundlich zu mir und hat mir sogar die Hand gegeben; eben wie bei den Wei\u00dfen auch. Aber was ist noch passiert? Mein Job wurde nicht verl\u00e4ngert. Zus\u00e4tzlich arbeiteten verschiedenen Akteure Hand in Hand daran, dass ich auch anderweitig keinen Fu\u00df mehr bei Ikea fassen konnte. Man hat, nachdem ich den Betriebsrat eingeschaltet hatte, sogar eine Stelle „eingespart“, nur damit sie mich bei der Auswahl auf keinen Fall mehr ber\u00fccksichtigen m\u00fcssen.<\/p>\n \u00dcbrigens: Der Vertrag eines wei\u00dfen Kollegen wurde anstandslos und viele Wochen vor dem Auslaufen seines Vertrags verl\u00e4ngert. Als ich darauf hinwies, dass das schon seltsam ist, reagierte er angepisst: „Ich habe halt einfach nachgefragt.“ Das habe ich auch. Im Gegensatz zu ihm sogar regelm\u00e4\u00dfig Interesse bekundet. Aber der Bursche ist halt wei\u00df. Und f\u00fchlt sich darin best\u00e4tigt, dass er wegen seiner Leistung eine Verl\u00e4ngerung bekommen h\u00e4tte. Ich dagegen wei\u00df, dass ich die Verl\u00e4ngerung nicht bekommen habe, weil ich schwarz bin und in dem Zusammenhang auf Diskriminierung hingewiesen hatte.<\/p>\n Was nutzt also ein buntes Team, wenn die Privilegierten fr\u00f6hlich weiter diskriminieren? Sogar der Zeitautor schreibt am Ende des Artikels: „Man muss auch willkommen sein [\u2026] Hier ist der Weg noch weit.“<\/p>\n