{"id":9006,"date":"2013-09-30T13:29:19","date_gmt":"2013-09-30T11:29:19","guid":{"rendered":"http:\/\/afrika.himpenmacher.de\/?p=9006"},"modified":"2014-03-22T15:12:53","modified_gmt":"2014-03-22T13:12:53","slug":"alltagsrassismus-leipzig","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/trollbar.de\/2013\/alltagsrassismus-leipzig-9006","title":{"rendered":"Und immer bist du die Ausnahme"},"content":{"rendered":"

Als vor kurzem unter dem Twitter-Hashtag #schauhin<\/a>1<\/a><\/sup> rassistische Alltagsgeschichten gesammelt wurden, musste ich auch an ein paar Begebenheiten denken, mit denen meine afrikanischen Studenten konfrontiert wurden, als sie in Leipzig verweilten. F\u00fcr zwei bzw. vier Monate waren sie f\u00fcr das Auslandssemester in der Messestaddt. F\u00fcr das Leben in Leipzig war ich der erste Ansprechpartner (mit einem weiten Erfahrungsschatz), weshalb ich nat\u00fcrlich besonders viel mitgekriegt habe.<\/p>\n

Die PhDs hatten Gl\u00fcck und konnten in Reudnitz (verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig entspannt) leben, die MAs wurden aufgrund der Sturheit des Studentenwerks in Gr\u00fcnau untergebracht. Wir erinnern uns, Gr\u00fcnau ist einer der Stadtteile, in denen Menschen vor mehr als einem Jahr aus rassistischen Gr\u00fcnden auf die Barrikaden gingen<\/a>, weil dort ein Asylbewerberheim hinkommen sollte.<\/p>\n

Die unterschiedliche Lokalisierung der Studenten schlug sich dann auch in deren Empfindungen f\u00fcr und Erfahrungen mit Rassismus nieder. W\u00e4hrend auch die Studenten in Reudnitz sehr wohl ein Gesp\u00fcr daf\u00fcr hatten, welche Sonderstellung sie als Schwarze in Leipzig einnehmen, waren es besonders Studenten des Masterstudiengangs, die sich beschwert haben.<\/p>\n

Dabei ging es weniger um solch abartiges Verhalten, wie 25 Minuten b\u00f6sartig angestarrt und dann angespuckt, oder im KZ Buchenwald vom SS-<\/s>Wachmann angeschrien und angep\u00f6belt zu werden. Es geht auch weniger darum, dass sich die Polizei einen Schei\u00df daf\u00fcr interessierte, dass einer meiner Studenten \u00fcberfallen wurde. Vielmehr war es der mal mehr, mal weniger subtile Rassismus, denen schwarze Menschen hier jeden Tag ausgesetzt sind. Ganz vorn mit dabei ist in den Schilderungen immer wieder der Hinweis darauf, in L\u00e4den vom Personal demonstrativ \u00fcbersehen, aber gleichzeitig \u00fcberwacht zu werden. Es ist diese typische passiv-aggressive Verweigerungshaltung, die ich nur all zu gut kenne. Mir war daher sofort klar, was meine Studenten damit meinten.<\/p>\n

Das Verhalten zeigt sich hier in der Provinz ganz vortrefflich in kleinen L\u00e4den wie B\u00e4ckereien und Fleischereien (gern auch in Superm\u00e4rkten integriert), in denen die wei\u00dfe Person vor dir bedient wird und die Bedienung anschlie\u00dfend entweder an dir vorbeistarrend dumm fragt: „So, wer ist jetzt der n\u00e4chste?“2<\/a><\/sup>, oder deinen Blicken ausweicht und einen gro\u00dfen Schritt zu wei\u00dfen Person hinter dir macht, die dann bedient wird.3<\/a><\/sup> Dir kommt dann die Aufgabe zu, dir eine Bedienung zu erk\u00e4mpfen<\/em>. Das Verhalten wirkt besonders absurd, wenn man dann noch feststellen muss, dass dich diesselben Mitarbeiter nicht nur \u00fcbersehen<\/em>, sondern genau \u00fcberwachen<\/em>, wenn du durch den Laden schlenderst. Du k\u00f6nntest ja was klauen, immerhin bist du schwarz. Da ist das ja so \u00fcblich. Entsprechend hast du dann Mitarbeiter wie eine Klabusterbeere am Arsch kleben, die jeden deiner Schritte verfolgen. In der versch\u00e4rften Variante verfolgt dich die ganze Zeit ein Security.<\/p>\n

Interessanterweise berichteten mir meine Studenten, dass sich die Lage an den Orten, an denen sie sich \u00f6fter aufhielten, mit der Zeit verh\u00e4ltnism\u00e4\u00dfig entspannte. Eine Studentin, der die Feindseligkeit am meisten zu schaffen machte, fasste den Einstellungswechsel ihr gegen\u00fcber treffend zusammen: „Mir ist klar, dass die Leute mich im Laden jetzt einfach nur wiedererkennen und deshalb nicht mehr so fies drauf sind. Jeder andere Schwarze, der da neu hinkommt, muss sich auch erst wieder als ‚Ausnahme‘ beweisen.“ Das typische am Rassismus ist, dass Leistungen4<\/a><\/sup> von rassistisch Ausgrenzten individualisiert, (vermeintliche) Fehltritte jedoch kollektiviert werden. Weil es hier im Osten keine Notwendigkeit gibt, findet kein ernsthafter Einstellungswechsel gegen\u00fcber schwarzen Menschen statt. Es gibt schlichtweg zu wenige, als dass sie gesellschaftlich gesehen durch die rassistische Mauer hindurch einen positiven Eindruck hinterlassen k\u00f6nnten.<\/p>\n

Bis die Menschen in den L\u00e4den anfingen, zu meinen Studenten nicht mehr ganz so arschlochhaft zu sein, war der Schaden f\u00fcr den Ortsteil Gr\u00fcnau schon angerichtet. Jene Studentin z.B. weigerte sich bis zum Schluss, noch mal ins Allee Center zu gehen. Zu offensichtlich war dort die Abscheu.<\/p>\n

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<\/div>\n

Show 4 footnotes<\/span><\/a><\/p>\n

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  1. Achtung, der Hashtag wird von Rassisten regelm\u00e4\u00dfig missbraucht ↩<\/a><\/span><\/li>\n
  2. Alternative: Man wird zwar bedient, aber das nur sehr widerwillig und in einer sehr unversch\u00e4mten Tonart. ↩<\/a><\/span><\/li>\n
  3. Man lasse sich bitte nicht zu der Annahme hinrei\u00dfen, die Person hinter einem w\u00fcrde jetzt protestieren: „Warten’se mal, der junge Mann vor mir ist dran.“ ↩<\/a><\/span><\/li>\n
  4. Worunter tats\u00e4chlich schon normales Verhalten f\u00e4llt. ↩<\/a><\/span><\/li>\n<\/ol>\n<\/div>\n","protected":false},"excerpt":{"rendered":"

    Als vor kurzem unter dem Twitter-Hashtag #schauhin rassistische Alltagsgeschichten gesammelt wurden, fielen mir ein paar Erlebnisse meiner Studenten ein, die ich hier teile.<\/p>\n","protected":false},"author":354,"featured_media":10076,"comment_status":"open","ping_status":"open","sticky":false,"template":"","format":"image","meta":[],"categories":[5],"tags":[28,164,166],"_links":{"self":[{"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9006"}],"collection":[{"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts"}],"about":[{"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/types\/post"}],"author":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/users\/354"}],"replies":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/comments?post=9006"}],"version-history":[{"count":0,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/posts\/9006\/revisions"}],"wp:featuredmedia":[{"embeddable":true,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/media\/10076"}],"wp:attachment":[{"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/media?parent=9006"}],"wp:term":[{"taxonomy":"category","embeddable":true,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/categories?post=9006"},{"taxonomy":"post_tag","embeddable":true,"href":"https:\/\/trollbar.de\/wp-json\/wp\/v2\/tags?post=9006"}],"curies":[{"name":"wp","href":"https:\/\/api.w.org\/{rel}","templated":true}]}}