Ich hatte bei Wikipedia mal einen Nutzeraccount. Mir gefiel die Idee, dass jede/r Artikel verfassen oder auch nur Änderungen vornehmen kann. Ich wusste, dass ich viel Wissen beitragen kann, gerade auf Gebieten, auf denen die meisten Wikipedianer keine Ahnung, weil keine Berührungspunkte haben. Rassismus zum Beispiel.

Den Account hatte ich nicht lange.

Rasch musste ich feststellen, welch verkrustete und weißnormierte Strukturen bei Wikipedia existieren. Gerade auf Diskussionsseiten zu Artikeln kann man öfter erleben, mit welcher Arroganz Aspekte abgefrühstückt werden. Wer hart im Nehmen ist, möge etwa nicht nur den Artikel zum N-Wort, sondern auch die Diskussionsseite mitsamt Archiv (rechts, haha!) lesen. Ohne die Überraschung zu verderben: Da geht’s schlimmer zu als in den Kommentarspalten der Leipziger Volkszeitung.

Ich beschränkte mich schnell wieder darauf, ausschließlich unangemeldet kleine Änderungen (Korrektur von Tippfehlern oder Grammatik) vornzunehmen, oder hier und da auf bestimmte Aspekte hinzuweisen, die sonst im weißen Mainstream untergehen. Wann immer ich auf Wikipedia über Unfug stolpere, korrigiere ich das geschwind. Der Aufwand hält sich normalerweise in Grenzen, die Änderungen tun niemandem weh. Ganz im Gegenteil: Wikipedia wird nützlicher. Leider unterschätze ich manchmal, wie sensibel Weiße sind.

Cpt Sensitive strikes again

Als ich einen Artikel über James Bond las, musste ich mal wieder feststellen, dass ein schwarze Person, hier: der Charakter Ms Moneypenny, als „dunkelhäutig“ bezeichnet wurde. Also habe ich das in „schwarz“ geändert. Denn wie wir alle, die in den wenigstens letzten 30 (!) Jahren nicht unter einem Stein gelebt haben, wissen, ist „schwarz“ eine Eigenbezeichnung und daher auch zu verwenden. Schließlich bezeichnet sich die ISD auch nicht als Initiative Dunkelhäutiger Menschen in Deutschland, und mittlerweile dürfte auch beim letzten Weißbrot irgendeine der „Debatten“ um Begrifflichkeiten für schwarze Menschen angekommen sein.1

Angekommen vielleicht, aber nicht akzeptiert. So auch in diesem Fall. Weil ich ja nun mittlerweile weiß, wie Weiße ticken, habe ich am nächsten Tag noch mal nachgeschaut, ob die Änderung freigegeben wurde. Natürlich nicht. Der Beitrag wurde auf die alte Fassung mit dem Begriff „dunkelhäutig“ zurückgesetzt. Begründung: keine. Warum auch?

Bei meinem ersten Edit hatte ich die Begründung mit der Eigenbezeichnung angeführt. Nachdem das revertiert worden war, schob ich weniger freundlich nach, dass man das im entsprechenden Wikipedia-Artikel herzlich gern nachlesen kann. Bei Twitter erklärte man mir, dass das nicht gehe, weil eine Referenz von Wikipedia zu Wikipedia unstatthaft wäre. Meine Änderung wurde prompt wieder revertiert. Diesmal sogar mit Begründung. Zum einen damit, dass die Eigenbezeichnung egal wäre, was per se schon übel rassistisch ist. Zum anderen, weil — Achtung! — in einem anderen Wikipedia-Artikel zu James Bond, ebenfalls der Begriff „dunkelhäutig“ verwendet wird. Selten so gelacht.

Ich erlebe also genau das, was ich schon in vielen, vielen Diskussionen durchmachen musste: Weiße kämpfen um ihre Definitionsmacht und damit gegen das Selbstbestimmungsrecht von schwarzen Menschen. Denn sie sind es von Kindheitsbeinen an gewöhnt, alle anderen Menschen so zu bezeichnen, wie es ihnen gefällt. Konsequenzen gibt es praktisch nie.

Rules? What Rules?

Und so verwundert es auch nicht, dass die Clowns aktuell ihre Macht missbrauchen, indem sie den Artikel nicht nur abermals auf „dunkelhäutig“ zurückgesetzt, sondern gleich für zwei Tage gesperrt haben, sodass er nur von angemeldeten, aber nicht neuen Benutzern bearbeitet werden kann.2 Zudem wurde meine IP wegen Vandalismus/Edit War gemeldet.3 Wohlgemerkt nach zwei Änderungen. Diese bei privilegierten Menschen beliebte Taktik nennt man übrigens Silencing. Im echten Leben verlierste den Job, bei Wikipedia wird gesperrt. Es wird alles dafür getan, Minderheiten zum Schweigen zu bringen.

Eine weitere beliebte Derailing-Taktik ist das Fordern von (erschöpfenden) Erklärungen. Im aktuellen Fall wird von mir verlangt, dass ich die gewünschte Änderung auf der Diskussionsseite zu diskutieren habe. Will heißen: Wann immer da jetzt „dunkelhäutig“ durch einem nichtrassistischen Begriff ersetzt wird und nicht der Segen der weißen Clique existiert, wird das wieder geändert werden. Die anderen sind sich ja einig, dass „dunkelhäutig“ ein dufter Begriff ist. So dufte, dass Revertierungen entweder ohne Begründung oder mit selbstreferenziellen Verweisen vorgenommen werden. Natürlich nur auf solche, die in den Kram passen.

Regelverstöße, und das haben mich jahrelange Rassismuserfahrungen gelehrt, sind nämlich immer dann erlaubt, wenn sie geeignet sind, den Status Quo zu erhalten. Das Messen mit zweierlei Maß wird dann gern hinter Wendungen versteckt wie: Er ist ein erfahrener Wikipedianer. 80 Prozent aller IP-Edits sind nur Unfug. Oder: Das haben wir schon immer so gemacht. Ich muss diskutieren, warum da „schwarz“ hin muss, wohingegen völlig unbegründet „dunkelhäutig“ verwendet werden darf. Man (die Weißen) hat es eben schon immer so gemacht. (Hamse nich‘. Aber pscht!)

Was zählt, sind schwarze Freunde™ und ein Duden

Spannender noch: Jemand wies die revertierende Person auf meinen Tweet zum Thema hin, was sofort die typischen weißen Reaktionsmuster nach sich zog: Es wird ohne Not das N-Wort reproduziert, es wird Tone Policing betrieben, indem man sich hinter von Weißen gemachten Regeln versteckt und es werden — tata — eine kurze Internetrecherche™ sowie schwarze Freunde ins Feld geführt. Damit gilt auch der vorgebrachte Einwand nicht, dass diejenige Seite gewinnt, die die bessere Sekundärliterur vorweisen kann. Es stimmt einfach nicht. Es gewinnt die Seite mit der meisten Macht.

Wegen einer klitzekleinen Änderung musste ich jetzt über einen Tag am Ball bleiben, um am Ende dann doch nur zu sehen, dass eine Gruppe ihre Definitionsmacht über schwarze Menschen ausnutzt. Da werde ich ganz sicher nicht noch auf der Diskussionsseite erläutern, warum es „schwarz“ heißen muss. Denn wer schon mal mit Weißen über Begrifflichkeiten für schwarze Menschen diskutiert hat, weiß, dass so was im besten Fall fruchtlos ist, wenn sich nicht wenigstens noch ein paar Allys hinzugesellen. Und der Artikel ist beileibe kein Einzelfall. Den gleichen Mist müsste ich bei allen Artikeln ausfechten, in denen schwarze Menschen mit allerlei seltsamen Begriffen bezeichnet werden. Denn Weiße verharren in solchen Diskussionen grundsätzlich in der „Man darf ja neuerdings nicht mehr $wüsteBeschimpfung sagen. Erklär mir jetzt doch mal, warum das so ist!1!“-Starre und schleppen unzählige altbackene Begründungen oder den Duden in Frakturschrift an.

Wie gesagt: An sich finde ich Wikipedia gut. Sie ist aber nicht so gut, dass ich mich freiwillig dem weißen Männerclub aussetze. Ich hatte sogar schon mal für das Projekt gespendet. Doch schon bei den Aufrufen danach wusste ich: Noch mal passiert mir das nicht.

black-fuck-you

Update (schon während des Korrekturlesens): Jemand hat gerade wieder auf „schwarz“ geändert. \o/

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Wie immer gilt: Ich veröffentlich keine Kommentare, die gegen die Spielregeln verstoßen und/oder meine FAQUs abarbeiten. Auf Belehrungen, wie das System funktioniert, habe ich keine Lust. Denn das System ist kaputt.

Auch interessant: Keine Frauen. Wikipedia ist eine sexistische Männerwelt

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  1. Wenn nicht: Googelt einfach nach brüllweinenden weißen Männern.
  2. Vor dem Revert hatte jemand meine Änderung genehmigt, das kann ich in der Historie aber nicht mehr nachvollziehen. Warum eigentlich?
  3. Das sagt übrigens Wikipedia zu Vandalismus.

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC