„Eigentlich würde ich gern meine ganze Familie mitnehmen, damit man mal sieht, wie schlecht es anderen Menschen geht. Ich glaube, das wird eine ganz tolle Erfahrung.“
Auch mit dem o.g. Auswurf von Mirja du Mont (Einschub: Trailer nicht mehr verfügbar) macht das ZDF derzeit Werbung für ein höchst unsägliches Format: Zwei Teams (wovon eines allen Ernstes Team Afrika heißt) machen sich auf, zu erleben, wie sich das eigentlich anfühlt, auf der Flucht vor Krieg, Hunger und Elend zu sein. Auf Twitter regt sich zu Recht Kritik. Aber die Social-Media-Clowns vom ZDF sind der Meinung, man solle sich erst mal die gesamte Sendung anschauen, bevor man sie kritisiert.
Liebes ZDF, sonst hast du aber schon noch alle Tassen im Schrank, oder? Um ein widerliches Konzept krisieren zu können, muss ich sicher nicht warten, bis ihr 100% der Gülle ausgekippt habt. Was ihr da zurzeit bewerbt, zeigt bereits hervorragend, wie niedrig das Niveau in der Sendung angesetzt ist.
Am meisten raufe ich mir bei Mirja du Mont die Haare, die eine diskriminierende Scheiße nach der anderen raushaut:
- Deutschland wird überfremdet.
- Ausländer integrieren sich nicht.
- Die Türken haben eine ganz andere/keine Kultur, weshalb sie zu Recht nicht in der EU sind.
- Den Ausländern hier geht’s doch total gut. Kein Grund, sich zu beschweren.
- Das Boot ist voll.
- Die Ausländer fliehen nur deshalb nach Deutschland, weil’s ihnen ums Geld geht.
- Nur Deutschland hat ein soziales Netz.
- Deutschland hat ein Helfersyndrom.
Ich glaube, beim letzten Punkt hat sie sich versprochen. Sicherlich wollte sie „Schuldkomplex“ sagen. Diese [justiziable Beschimpfung deiner Wahl] Person bietet wirklich alles auf, was die rechtskonservativen/rassistischen Kommentarspalten der großen Medienhäuser Tag für Tag in die Welt erbrechen.
Dann hätten wir noch Songül Cetinkaya, die, ich nehme es an, als Quotenmigrantin fungieren soll, die mich aber genauso kotzend macht wie Mirja „Ich bin stolz Deutsche zu sein“ du Mont. Von 1.26 min Wortbeitrag, die Songül Cetinkaya im Video erbricht, klingt die erste Minute wie Wahlwerbung für die rechtskonservativen Horden von CDU/CSU. Wenn Ausländer sich doch nur anpassten, dann könnten sie üüüberall dort arbeiten, wo sie wollten.
Vielleicht sollte Cetinkaya mal mit Leuten sprechen, die super duper integriert (weil Deutsch) sind, aber dennoch aufgrund ihrer falschen Hautfarbe oder ihres falschen Namens entweder keinen Job oder nur einen weit unter ihren Qualifikationen finden. Sie könnte sich aber auch mal mit den Menschen unterhalten, die im Ausland super Abschlüsse haben, in Deutschland aber putzen müssen, weil Deutschland so arrogant ist, unzählige Abschlüsse einfach gar nicht erst anzuerkennen. Sie könnte sich aber auch mal mit den hochausgebildeten Ausländern unterhalten, die nur dann einen Job in Deutschland kriegen dürfen, wenn sie mindestens 44.800 Euro pro Jahr verdienen (vormals 66.000 Euro). Cetinkaya müsste sich noch nicht mal mit Menschen abgeben, wenn sie es nicht wollte, sondern könnte einen der vielen, vielen Berichte und eine der vielen, vielen Studien lesen, die sich mit Diskriminierung u.a. bei der Arbeitssuche befassen.
Nichts, was diese Person von sich gibt, ist aber so schlimm wie die Relativierung der NSU-Morde: „Natürlich ist es schrecklich, wenn Migranten durch Gewalt auffallen, aber genauso schrecklich ist es, wenn irgendwelche durchgeknallten Nazis durch die Lande ziehen und Türken und Griechen umbringen.“ Damit wir uns richtig verstehen: Da ist eine Bande Neonazis, die jahrelang Menschen eiskalt ermordet. Gefasst werden sie über all die Jahre nicht, weil der von rassistischen Strukturen durchzogene Staatsapparat (hier allen voran die Clowns in Grün) rassistische und ausländerfeindliche Motive nicht oder nur ungenügend verfolgt und stattdessen Jagd auf die Hinterbliebenen macht, weil „die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt“ und damit der „der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Normen- und Wertesystems verortet ist“. Dieses rassistische Konstrukt setzt die Tante mit Gewalttätern gleich. Prost Mahlzeit.
Über Kevin Müller, den ehemaligen Neonazi, der Schwarze konsequent mit Aids verbindet, aber keinen blassen Schimmer hat wieso (*args*), lasse ich mich besser nicht aus. Nur so viel, Kevin: Auch nach deinem Abenteuer (und mehr ist das für dich nicht) wirst du weiterhin Schwarze mit Aids verbinden.
Ich gehe brechen.
(siehe auch Halfjill/Afrika Wissen Schaft: Sieh’s mal neokolonial)
Update, 09.08.: Ich kann mich nur schwer entscheiden zwischen Flucht- und Würgereflex. Die Twitter-Nulpen vom ZDF meinten ja, man solle sich am Donnerstag erst die Sendung anschauen und dann erst rummaulen. Was ich davon gehalten hatte, habe ich ja schon zuvor geschrieben. Nach den desaströsen Trailern habe ich mir die erste Folge angeschaut und ich kann echt nicht fassen, wie schlimm diese Sendung ist. Nur ganz kurz ein paar Hightlights aus der Sendung:
- „Habt ihr in Deutschland zum ersten Mal mit Besteck gegessen?“, wird allen Ernstes gefragt, als die Familie ein Gericht speist, das man TRADITIONELL mit den Fingern isst.
- „Ich esse gern AUSLÄNDISCH.“: Unschuldiger kann man die Wir-Die-Dichotomie nicht darstellen.
- „Ihnen ist die Flucht aus AFRIKA gelungen“: Meine afrikanischen Studenten finden bestimmt auch, dass man aus AFRIKA fliehen muss.
- „Ich glaub, das wird ’ne ganz tolle Erfahrung.“: Noch mal: Es geht um das NACHSPIELEN einer FLUCHT wegen Krieg und dergl.
- „Ich freue mich über Afrika“ because Africa is a country.
- „Du hast bestimmt Krieg miterlebt. Wie war das so für dich?“ Voll schön.
- „Ich hätte keine Lust, dass meine Toilette ZUHAUSE so aussieht, nur weil jmd. einen anderen Umgang damit gewohnt ist.“ Einer der dümmsten Kommentare, weil ein Klo in einer Asylunterkunft so rein gar nichts mit einem Klo zuhause zu tun hat. Der selten dümmliche Spruch erinnert mich übrigens frappierend an das gern gebrachte Argument: Wenn ich Gast in jemandes Wohnung bin, dann muss ich mich auch dessen Regeln unterwerfen.
Besonders die Kommentare mit Afrikabezug zeigen ein sehr primitives Bild, dass die Protagonisten und auch das ZDF vom dem Kontient haben. Wundern sollte es mich nicht, zeichnet das ZDF doch nur konsequent das Bild Afrikas weiter, wie es in der deutschen Wahrnehmung existiert. Allerdings ärgert es mich zusätzlich, dass Auf der Flucht ein extrem unwürdiges und dazu zwangsfinanziertes Format ist.
Aber dass man beim ZDF nicht so sehr gern nachdenkt, das kennen wir ja schon.
Update, 14.08.: Weitere Beiträge zum Thema:
- Hakan (Kleinerdrei): Auf der Flucht
- Nadia Shehadeh (Shehadistan): Beschwerde an den ZDF-Fernsehrat
- Holger Kreymeier (FernsehkritikTV): Petition zur sofortigen Absetzung der Sendung
- Hadija Haruna (Tagesspiegel): ZDFneo-Reihe Auf der Flucht lässt Schicksal spielen
Screenshot: ZDFneo
Wow! Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich Frau du Mont für eine Karikatur der bürgerlichen „Mitte“ halten.
Und „Ausländer können sich hier so gut entfalten“. Außer, sie haben eine andere Kultur. Dann nicht. Dann sollen sie sich gefälligst integrieren. *kopfschüttel*
Bedauerlicherweise ist die nicht eine Karikatur, sondern ein Abziehbild der bürgerlichen Mitte. :(
@Alis Kommentar (an dritter Stelle): genau das ist das Problem. Diese Frau ist nicht bei der NSU, sie ist nicht bei den Glatzen, nicht bei der NPD – und genau deshalb – und weil sie als Protagonistin des Zuschauers inszeniert wird – sind ihre Aussagen dazu geeignet, zu einer Identifikation mit dem Zuschauer zu führen. Wie kann das ZDF bzw. der Redakteur nur so blöd sein und sie sowas sagen lassen?
Ich finde die Sendung generell auch Menschenverachtend,weil hier so getan wird als ob die Flüchtlinge gerne mal ne coole Adventure Erfahrung erleben wollen und sonst keine Gründe gibt wieso wie ihre Heimat verlassen.Aber: Mirja du Mont sagt nicht,dass Deutschland überfremdet wird,sondern sie sagt,dass sie verstehen kann,dass viele Menschen Angst vor Überfremdung haben.Das ist was Anders.
Zudem stimmt es,dass im arabischen Raum eine andere Kultur herrscht als in Deutschland.Die Türkei ist allerdings eher das Land in dem es noch am „deutschesten“ zugeht.Siehe Iran.
Es gibt nicht integrierte Ausländer und natürlich sollten deutsche Kindergärten pflicht sein,nur so kann man den Einwanderern helfen.
Gut geht es in Deutschland komischerweise den schon hier lebenden Ausländern.Die können auch kriminell sein und werden niemals abgeschoben.Dass Flüchtlinge in furchtbaren Zuständen in Lagern leben verstehe ich auch nicht.
Das Boot ist voll? Naja für Leute die keine Flüchtlinge sind und der Wirtschaft keinen Vorteil durch ihre Qualifikation bringen..Ja.Das ist das Boot voll.Schon seit 20 Jahren übrigens.Die Ausländer fliehen vorallem nach Deutschland weil hier stabilie politische Verhältntnisse herschen.Deutschland hat das fetteste soziale Netz.Noch.
Und vollkommen richtig erkannt: Deutschland hat ein Helfersyndrom.Aber nur solange sie nicht den Amerikanern die in die Quere kommen.Siehe zb. Snowden uvm.
Das Format ist natürlich Blödsinn,aber die aussagen von Frau du Mont stimmen ja.
Habe noch nie Flüchtlinge gesehen, die durchgehend mit Rolli und Gitarre in der Hand unterwegs sind. Da wird einem wirklich schlecht.
@Lexyk: Als Beleg für diese rassistische These gibt Mirja du Mont an, dass es Stadtteile gibt, in denen kaum noch Deutsche lebten. Weder erklärt sie die sozialen Dynamiken, die z.B. auch in Leipzig dafür sorgen, dass viele Ausländer (oder solche, die man dafür hält) in bestimmten Vierteln konzentriert leben müssen, noch verweist sie auf den sehr wichtigen Aspekt, dass die Angst vor Überfremdung (wie andere rassistische/rechtsextremistische Einstellungen) ausgerechnet da am höchsten ist, wo der Anteil von Ausländern/Migranten an der Bevölkerung am niedrigsten ist.
Mirja du Mont bedient sich einer ganz hässlichen Wir-gegen-die-Dichotomie, indem sie der Türkei eine andere/keine Kultur attestiert, und zieht daraus die logische Konsequenz, dass die Türkei nichts in der EU zu suchen habe. Sach mal, hakt’s? Allein die europäischen Kulturen sind so verdammt unterschiedlich, dass man locker annehmen könnte, diese könnten nicht Mitglied in der EU sein. Tun wir komischerweise aber nicht. Finde den Fehler.
Mirja du Mont untestellt
, dass sie ihre Kinder gar nicht in toitschen Kindergärten anmelden wollten, lässt aber auch hier die sozialen Dynamiken außer Acht, die zu einer etwaigen Konzentration von ausländischen Kindern in bestimmten Kindergärten führen, z.B. dass viele Ausländer nur in einem bestimmten Stadtviertel eine Wohnung finden. Haben die kein Recht, ihre Kinder wohnortnah unterzubringen?Die Ausländer fliehen vor allem nach Frankreich. Im EU-27-Vergleich kommt das Land im Jahr 2010 auf Platz 1. Deutschland folgt mit rund 6000 Bewerbern weniger erst auf dem 2. Platz. Wenn du die Asylanträge mit den Einwohnerzahlen der Zielländer in Relation setzt, wird noch deutlicher, wie wenig sich eigentlich in Deutschland bewerben. Außerdem ist das Asylverfahren extrem reglementiert und unfair (allein schon wg. der europaweit unterschiedlichen Sozialstandards). Von dem ach so fetten Netz können Asylsuchende überhaupt nicht profitieren. Außerdem werden die meisten Asylanträge ohnehin abgelehnt.
Mirja du Mont behauptet wie du, dass Deutschland einen Helferkomplex habe, was faktisch falsch ist. Das wird schon deutlich daran, wie grandios Deutschland das Ziel verfehlt, 0,7 Prozent des BNE (ja, richtig gelesen, NULL-komma-sieben Prozent!) für Entwicklungshilfe aufzuwenden. Im Durchschnitt liegt Deutschland bei gerade mal 0,46 Prozent. Deutschland hat’s echt übel erwischt mit diesem Syndrom.
OK, das Format ist problematisch. Es erinnert im Stil an die Soaps des Privatfernsehens. Frage: Kann man ein so sensibles und vielschichtiges Thema mit einem so platten Format besprechen? Auf jedenfall schwierig. Die dramtische Kamera, die spannungsgeladene Musik, das Zoomen in die geschockten Gesichter und die verschörerische Stimme aus dem Off – alles erst mal zu kitschig für das Thema.
Und jetzt kommt das fette Aber: Würde man das Thema in hochwertigen Reportagen bearbeiten oder in einer Talkshow besprechen, würde man eben nur das Publikum ansprechen, dass sich sowieso schon mit der Thematik auseinandergesetzt hat. Die Abwägung, wie viel Trash darf in die Sendung um das Niveau einigermaßen zu halten und wieviel Trash brauch ich um mein Zielpublikum anzusprechen, ist hier schon ganz gut gewählt.
Die Meinung von du Mont kann ich zwar wie die Autorin des Blogs nicht teilen, aber sie als nicht legitime Meinung abzustempeln, geht auch wieder nicht. Es ist sehr wohl ok, der Meinung zu sein, dass die Türkei nicht in die EU passt. Ihr dabei noch unterzujubeln, die Türkei hätte „keine“ Kultur, zeugt ja wohl auch nicht gerade von hohem Niveau…
Mirja du Mont nutzt Othering, um die Verwehrung des EU-Beitritts der Türkei rechtfertigen zu können. Sie tut das nicht, um die Türken, die
besserzustellen, sondern um sie schlecht zu machen. Das macht sie mit dem, zugegeben, geschickten Rückgriff auf die Themen Menschenwürde und -rechte, mit denen die Türkei ja ganz anders umgingen. Gerade auch im Kontext des Vorgehens im Gezi-Park ist offensichtlich, was Mirja du Mont meint.Dieses Format mit seinen Provokationen unterliegt dem Kalkül, am rechten Rand nach Einschaltquoten zu fischen. Das ist die pure Vermarktung von Ressentiments.
»Auf der Flucht«: Vielleicht wird das Team ja bei den Dreharbeiten zu den nächsten Folgen erschossen oder ertrinkt im Mittelmeer – »Ich glaube, das wird eine ganz tolle Erfahrung.« Ja, Mirja, für dich ganz bestimmt!
Oh! Wo ist denn das Video geblieben? Das Portrait von Du Mont ist im Netz nirgends mehr zu finden.. Hat jemand eine Ahnung wo ich es sehen kann? Schreibe eine Studienarbeit in Filmwissenschaft über ua. die Serie, es könnte wichtig sein in dem Zusammenhang. Danke!!
Ja, das scheint leider abhanden gekommen zu sein. Ich habe auch schon gesucht. Falls ich es finde, verlinke ich es hier wieder.
Das Flucht-Format war wirklich unfassbar rassistisch und politisch unterirdisch. Nein, auch hier heiligt der Zweck nicht die Mittel.
Auch dieser Beitrag des ZDF basiert auf dem Reality-Experiment-Format, scheint mir aber inhaltlich gelungener zu sein: http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2174378/Der-Rassist-in-uns
Zu der Sendung wollte ich eigtl. auch mal was machen. Ich halte Der Rassist in uns nicht für gelungen, weil die Sendung arg als Event daherkommt. Außerdem wird in einer Tour behauptet, dass jeder Mensch blitzschnell Rassist werden könne. So stimmt das aber nicht.
Man könnte das ganze für Real-Satire halten, wenn es nicht so bitter wäre.