Einzeldurchfall? Ach ja!
Einzeldurchfall, der (Substantiv): Verbaler Ausfluss von Menschen, die nicht akzeptieren wollen, dass Rassismus in ihrer wunderschönen Umgebung existiert. Selbst bei einer Mio. Beispielen beharren sie darauf, dass es sich lediglich um Einzelfälle handelt. Diese zusammenzuzählen, sei unstatthaft, weil diskriminierend.
— Ich (mit Bezug auf einen Leipziger FDP-Clown)
An dieser Stelle sollte ein übler Pöbelbeitrag über primitive Affen aus der Zone erscheinen. Aber weil ich heute zum ersten Mal das Rudergerät im Fitnessstudio ausprobiert und mich richtig abreagiert habe, erspare ich Leipzig ein weiteres Zeugnis seiner Rückschrittlichkeit. Stattdessen nur eine kurze Schilderung über gelebten Rassismus, von dem die Leute meinen, ich kriege nicht mit, was läuft.
In Leipzig haben Weiße ja faktisch keinen Kontakt zu nichtweißen und insbesondere schwarzen Menschen und sie geben sich hier wirklich richtig, richtig viel Mühe, dass das auch so bleibt. Immer aktuelles Beispiel: An Haltestellen und Ampeln warten Weiße sehr gern ab, um zu schauen, wo ich hingehe, damit sie sehr viel Abstand zwischen sich und mich bringen können.1 An Haltestellen bewegen sich manchmal ganze Trauben zum vorderen Teil der Bahn, nachdem ich nach hinten gegangen bin. Suche ich mir dann im Wagen vorn einen Platz, rutschen die Mundwinkel der Betroffenen noch ein bisschen weiter nach unten und sie rennen auf einmal alle nach hinten.
Als Schwarzer kriegst du natürlich eingeredet, dass du dir das alles einbilden würdest, weshalb du irgendwann glaubst, dass da vielleicht was dran ist. Aber es gibt zwei Möglichkeiten, das Verhalten zu prüfen. 1. Haben sich die Leute auch bei Weißen bzw. weißen Männern oder weißen Männergruppen so affig?2 2. Wie reagieren sie, wenn du einfach mal ein bisschen länger an der Haltestelle stehst? Die zweite Möglichkeit finde ich besonders schick. Bei der passiert es nämlich öfter, dass die Leute so lange auf eine Aktion von mir warten, bis sie in die Bahn hechten müssen.
Weshalb ich den Beitrag gerade schreibe: Als ich heute ins Fitnessstudio gegangen bin, hatte ich wieder eine typische Ampelsituation: Ich stehe an der Ampel, neben mir eine dumme Kuh mitsamt Freund. Sie sieht mich, dreht sich zu ihm, tuschelt ihm was ins Ohr und zerrt ihn am Arm nach hinten, sodass beide schräg hinter mir zum Stehen kommen. Es wird grün. Niemand geht. Dem Freund wird das nach einer Weile zu bunt, er geht los und zerrt seine Freundin hinter sich her. Ich gehe auch los. Dummerweise — für sie, nicht für mich — mussten die beiden am Fitnessstudio vorbei, was bedeutete, dass wir für ein bis zwei Minuten den gleichen Weg hatten. Für die beiden waren das sicher die längsten ein bis zwei Minuten ihres Lebens. War ja ’n Gangster hinter ihnen. Wirklich die ganze Zeit hat sie nach hinten gestarrt, um zu gucken, wo ich bin.3 Natürlich hat sie das nicht so direkt gemacht. Sie ist ja schließlich kluk. Sie hat, was viele machen, nach meinem Spiegelbild in den Schaufenstern gesucht. Und es immer und immer wieder gesehen. Armes Ding.
In Städten wie Mannheim, Berlin, Hamburg, Frankfurt/Main, ja sogar in Passau4 (!!) erlebe ich so ein primitives Verhalten nie. In Leipzig und Co. andauernd.
Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC
Wahrscheinlich bist Du beruflich dort gebunden, oder? Das kann doch keinen Spass machen, in solch einer verkommenen Gegend zu leben.
Mich würde aber wirklich einmal interessieren warum der Osten so tickt. Faktisch wohnen da doch gar keine Ausländer, zumindest bis zur Wende. Warum ist man gerade dort so ausländerfeindlich und rassistisch? Ich fände es schrecklich wenn ich nur noch weiße deutsche sehen müßte. Für mich ist Multikulti auf jeden Fall eine Bereicherung
Ich bin tatsächlich nur noch hier, weil ich hier einen annehmbaren Job habe (mal davon abgesehen, dass Leipzig schlussendlich doch meine Heimat ist). Der ist aber eh befristet und ich suche nach Jobs in westdeutschen Großstädten wie FFM, Hamburg (und auch Berlin).
Wie ich ja bereits schrieb: Das große Problem in Ostdeutschland ist der mangelnde Kontkt zu Ausländern und Migranten. Wenn man doch mal Kontakt hat, dann beim Döner oder in einem asiatischen Restaurant. Ansonsten wird Abstand gehalten, wo es nur geht. Verschärft hat sich die Lage, seitdem 2012 die dezentrale Unterbringung von Asylsuchenden und später auch die Errichtung der ersten repräsentativen Moschee in Ostdeutschland (mit Ausnahme von Berlin) diskutiert wurde und wird.
Hi, ich habe dein Blog vor kurzem entdeckt, lese seitdem ziemlich viel darin, und will dir ein Kompliment für deine Arbeit machen!
Ich bin auch im Osten aufgewachsen, in Leipzig habe ich studiert. Obwohl ich die Gegend kenne, wird mir bei vielen der hier geschilderten Situationen richtig schlecht. Hut ab, dass du die Mühsal auf dich nimmst, darüber zu schreiben!
Vielen Dank für dein Kompliment! Wenn du magst: Ich bin jetzt übrigens auch auf Facebook zu finden.