Es strömen die Tamilen zu Tausenden herein, und wenn sich die Situation in Neukaledonien zuspitzt, dann werden wir bald die Kanaken im Land haben.
— Franz Josef Strauß 1985
Heute vor 22 Jahren: In Rostock-Lichtenhagen wird das Sonnenblumenhaus von einem rassistischen Mob angegriffen. In dem Haus waren die zentrale Aufnahmestelle für Flüchtlinge und vietnamesische Vertragsarbeiter untergebracht. Die Angriffe, bei denen u.a. versucht wurde, das Haus anzuzünden, dauerten bis zum 26. August. An ihrem Ende stand die faktische Abschaffung des Asylrechts in Deutschland. Zynisch nannte man das „Asylkompromiss“.
Bei den Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen wurde, so scheint es, alles dafür getan, dass die Lage eskalieren würde:
Obwohl die ZAST vollkommen überfüllt und die hygienischen Umstände eine Zumutung waren, wurden weiterhin Asylsuchende dorthin geschickt. Begründet wurde das damit, dass man keinen weiteren Platz zur Verfügung stellen konnte. Allerdings muss davon ausgegangen werden, dass das ebenfalls zu den geforderten Abschreckungsmaßnahmen gehörte wie später auch die Absenkung der Beilhilfen für Asylsuchende.
Obwohl bekannt war, wie sehr sich die Lage in Rostock-Lichtenhagen zugespitzt hatte und obwohl Krawalle angekündigt worden waren, verabschiedete sich die politische und polizeiliche Führungsriege, die nahezu aus Westdeutschen rekrutiert worden war, in ihr Wochenende nach Westdeutschland. Die polizeiliche Einsatzleitung wurde an einen Auszubildenden abgegeben.
Obwohl der Mob auch nach Evakuierung zumindest der ZAST wütete (man ging davon aus, dass „die Ausländer“ gar nicht weggebracht wurden), wurde die Polizei abgezogen. Zu diesem Zeitpunkt lebten in dem Haus noch die vietnamesischen Gastarbeiter. Prompt richteten sich die Aktionen gegen diese Menschen.
Als ein Grund für das Versagen der Polizei wurde die Tatsache angeführt, dass die Beamten mit der Situation überfordert gewesen wären. Über die Anwendung geltenden Rechts sei man unsicher, die Ausrüstung veraltet. Den Mob hätte man so nicht unter Kontrolle kriegen können. Eine glatte Lüge, betrachtet man die bilderbuchmäßige Arbeit der Polizei nur vier Tage später. Da hatte die Polizei nämlich 3000 Beamte abgestellt, um eine Demonstration zu überwachen. Aber die war auch gegen Fremdenhass gerichtet und kam von links.
Wahlkämpfe und politische Diskussionen zu diesem Thema waren in dieser Zeit extrem rassistisch geprägt. Nicht nur NPD und DVU sahen ihre Chance gekommen, sondern auch die Unionsparteien schürten die Angst vor den Fremden. Treibende Kraft schon viele Jahre zuvor: die CSU, die mit einem Bruch der Union drohte, sollte sich die CDU gegen eine Änderung des Asylrechts sperren. Bekannte Wendungen dieser Zeit sind u.a. „Das Boot ist voll“ (u.a. Spiegel-Titelbild), „Asylantenschwemme“, „aufklatschen“ und „ausländerfrei“.1
Nur eine ganz praktische Auswirkung auf das Leben von Ausländern in Rostock (Anteil 2011: 3,8%): Einige unsere ausländischen Studenten besuchten während ihres Aufenthalts ein paar Gegenden in Deutschland. Vor ein paar Wochen auch die Stadt Rostock. Von den Ausschreitungen hatten sie bis dahin nichts gewusst, aber sie spürten sofort, dass dort was anders war: So bekamen sie nicht nur keine Ausländer zu Gesicht, sie spürten auch sofort eine angespannte, nicht zu definierende Ablehnung.
Irgendwann stolperten sie förmlich über einen Inder und einen Pakistaner, bei dem sie auf Englisch Informationen einholten. Die beiden Männer fragten, ob die Studenten etwa Ausländer seien, denn Deutsche wären hier gar nicht in der Lage, Englisch zu sprechen. Falls sie Deutsche seien, könnten sie keinesfalls aus Rostock stammen. Als die Studenten erzählten, woher sie kommen und dass sie in Leipzig studieren, waren die Männer, die vorher schon entzückt waren, vollends aus dem Häuschen und kriegten einen roten Kopf. Bei der gemeinsamen Fahrt mit der Bahn wiederholten sie ständig, wie glücklich sie waren. Außerdem luden sie die Studenten, sollten sie länger bleiben, zum Essen ein. Denn Ausländer hatten sie in Rostock, wo ihr Leben durch tägliche Exklusion und Marginalisierung geprägt ist, schon lange nicht mehr gesehen.
Eine mit Abstrichen sehenswerte Dokumentation zum Thema hat der NDR vor zwei Jahren veröffentlicht: Als Rostock-Lichtenhagen brannte.
ein ganz dunkles Kapitel. Damals habe ich den Mauerfall verflucht.