Vor ein paar Tagen schrieb mir eine schwarze Freundin aus Leipzig: „Wenn man sich Sachsen gerade so anschaut, würde ich sagen, du bist rechtzeitig geflüchtet.“

Zu ihrer Einschätzung passt ein Hilferuf aus Dresden, den Linh neulich besonders mit Blick auf Pegida über einen Verteiler geschickt hat und den ich hier mit ihrer Erlaubnis gekürzt veröffentliche.

Von Linh

Der Rassismus in Dresden wird lauter und schlimmer. Und kaum jemand tut etwas dagegen. Die betroffenen POC haben Angst, ziehen sich zurück, die meisten sind gar nicht sensibisiert und wissen nicht mal, was Rassismus ist, sie spüren ihn einfach nur. Wir POC in Sachsen sind hier so eine Minderheit und nur von weißen, sehr rassistischen Menschen und Institutionen umgeben. Es gibt sie, die rassismuskritischen Weißen, aber es sind sehr wenige. Und die sind am Limit ihrer Kräfte.

Mein persönliches Fazit zur Gegendemo in Dresden:

Es hat mich gestern erschüttert, den ganzen Pegida-Zug an mir vorbeimarschieren zu sehen. Es hat mir Angst gemacht, was für eine Stimmung und Dynamik diese Bewegung hat. Diese Bewegung, mit der ich mich gerade permanent auseinandersetze, ist für mich ein Schlag ins Gesicht und ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll.

Ich bin froh und dankbar, dass einige meiner Freunde zum Protest gekommen sind. Es hat mich traurig gemacht, dass viele meiner Freunde nicht zum Protest gegangen sind und der Protest in Dresden insgesamt so gering ausfällt. Ja, auch ich bin mir nicht sicher, ob es etwas gebracht hat, dass ich mitgelaufen bin, denn am Ende bin ich mit einem niedergeschlagenen Gefühl nach Hause gegangen. Ich fühle mich in Dresden nicht mehr zuhause.

Und trotzdem: Danke an die 100.000 Gegendemonstanten in Deutschland, die mir zeigen, dass Pegida nicht das Volk ist, und mir Hoffnung geben, dass Deutschland sich vielleicht doch in eine andere Richtung bewegen kann. Besonderer Dank an Leipzig mit seinen 30.000 Gegendemonstranten!

Scheiße! Ihr seid meine Freunde!

Wenn man in Dresden bzw. Sachsen versucht, Menschen für Rassismus zu sensibilisieren, stößt man nur auf Wände. Ich habe fast nur weiße Freunde, jeder Dialog über Pegida ist ein Kampf für mich, ich komme immer wieder an meine persönlichen Grenzen. Die Leute versuchen immer wieder, den Rassismus, den Pegida verbreitet, zu relativieren: „Ja, ich finde Pegida auch nicht gut, aber man muss auch mal die Leute verstehen, das hat doch einen Grund, warum die auf die Straße gehen!“ Und ich denke mir: „Scheiße! Ihr seid meine Freunde! Seht ihr nicht, wie ich hier die ganze Zeit gegen Rassismus kämpfe?“ Nein, sehen sie nicht … Sie denken, ich habe ein persönliches Problem. Sie wollen sich nicht mit Rassismus auseinandersetzen, das ist nämlich unangenehm für sie.

Ich merke, wie sich die Menschen aus meinem sozialen Umfeld größtenteils nicht eindeutig gegen Pegida positionieren und ich verzweifele: Scheiße, das hier ist mein Zuhause, das verdammt rassistisch ist. Und jetzt wird es noch viel rassistischer und niemand unternimmt etwas dagegen. Na ja, „niemand“ stimmt nicht ganz. Es sind wenige, die sich permanent informieren, die jeden Montag bei Gegendemos verzweifelt in kleinen Gruppen versuchen, den Pegida-Zug zu blockieren. Wir rassismuskritischen Menschen sind in der Minderheit. Wir werden zermürbt. Ganz langsam. Jeden Montag werden sie mehr, sie werden lauter, sie werden gefährlicher. Und wir sind so ohnmächtig, weil wir so wenige sind. Wir haben das Gefühl, es bringt nichts.

Einige POC laufen sogar bei Pegida mit

Und für die POC ist es noch viel schlimmer. Wir fühlen uns dem starken Rassismus hier ausgeliefert. Diejenigen, die die Möglichkeiten und Ressourcen haben, die wollen hier wegziehen. Und ja, auch ich kann mir nicht mehr vorstellen, längerfristig hier zu wohnen. Doch es gibt auch einige, die nicht diese Möglichkeit haben. Die wenigen POC, die ich kenne, haben sich noch nicht theoretisch mit Rassismus auseinandergesetzt. Sie verdrängen ihn lieber. Sie gehen davon aus, dass sie anders sind. Viele POC sind hier auch white-washed. Ja, es gibt sogar einige, die bei Pegida mitlaufen.

Ich kämpfe jeden Tag gegen Rassismus, der so laut und stark ist, dass man ihn nicht übersehen kann, aber es ist echt schwer, wenn man permanent gegen Wände läuft. Die Stimmung in der Stadt ist anders, es gibt mehr rassistische Vorfälle in den öffentlichen Räumen.

Lasst uns laut und aktiv werden

Pegida zeigt uns den Rassismus in der lautesten, krassesten Form und sie sind auch noch stolz darauf. Aber Rassismus ist überall. Hier ist er nur besonders stark und Pegida spricht aus, was viele Menschen in Deutschland denken. Mit Pegida haben wir eine Chance, Rassismus in Deutschland zu thematisieren und die Politik aufzufordern, sich damit auseinanderzusetzen, statt in den Dialog mit Pegida zu treten. Für die Politik geht es nur darum, Pegida zu verstehen. Mit dem Rassismus, den die Bewegung instrumentalisiert und verbreitet, setzt sich niemand auseinander!

Liebe Leute, lasst uns laut und aktiv werden und den Leuten sagen, dass Rassismus ein Riesenproblem ist und es schlimmer wird. Die einzige Möglichkeit, wie wir damit umgehen können, ist, alle Menschen dazu zu bringen, sich differenziert damit auseinandersetzen. Rassismuskritische Bildungsarbeit! Das müssen wir von der Politik fordern!

Allein schaffen wir es nicht

Seit Dezember kann ich kaum schlafen und essen, aber ich hör‘ nicht auf zu kämpfen, auch wenn es mich immer wieder an meine Grenzen bringt. Diesen Text und diese Worte musste ich an euch richten. Ich hoffe, dass ihr vielleicht Ideen habt, was wir gegen Pegida und Rassismus in Deutschland machen können. Helft mir, hier Strukturen aufzubauen, die den Menschen rassismuskritische Bildung ermöglichen. Ich habe halt leider keine Kontakte und Ressourcen hier, die gibt es einfach nicht.

Der Ausländerrat ist auch nicht so rassismuskritisch bzw. ist eher damit beschäftigt, den POC direkt zu helfen, anstatt Öffentlichkeitsarbeit und politische Lobbyarbeit für sie zu machen. Der Flüchtlingsrat und das NAMF sind zurzeit überarbeitet. Auch sie können nicht über Rassismus reden. Der Sprecher des islamischen Zentrums in Dresden gibt Interviews und versucht, in den Dialog mit den Dresdnern zu treten, um zu beweisen, dass es keinen Grund gibt, Angst vor einer Islamisierung zu haben. Auch er hat keine Chance, Rassismus zu thematisieren.

Was ich sagen will: Alleine schaffen wir es nicht! Der Rassismus hier macht uns platt. Wir brauchen Hilfe aus ganz Deutschland, von allen POC und allen rassismuskritischen Menschen! Lasst den Pegida-Diskurs nicht von der weißen Mehrheitsgesellschaft dominieren! Denn schließlich geht es hier um uns.

Wir lassen uns nicht unterkriegen!

Solidarische Grüße,

Linh

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC