Hin und wieder kommt es auch in Mannheim vor, dass Menschen — vornehmlich Frauen — meinen, ihre Wertsachen vor mir retten zu müssen. Das passiert im Vergleich zu Leipzig allerdings so selten und geht in meinen ansonsten normalen Erlebnissen derart unter, dass mich das kaum tangiert und ich es schnell wieder vergesse. Ich weiß, dass es diese Woche schon mal passiert ist, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wann das war. Aus Leipzig habe ich jetzt noch die absurdesten Infos gespeichert (z.B. alte Frau, Weg in Richtung Kaufland, Sommertag, sehr heiß, gelbe Mülltonne, Wasserflasche, „Sie Blödmann!1!“). So weit, so gut.
Was mir aber bisher zumeist fehlt(e), war der Mut, oder vielmehr die Kraft, Menschen mit ihrem rassistischen Verhalten zu konfrontieren. Das führt in der Regel dazu, dass ich diese Erlebnisse mit nach Hause nehme. Seit Mannheim beschränkt sich das vornehmlich darauf, dass ich mir Vorwürfe machte, nicht für mich eingestanden zu sein. Heute allerdings dachte ich mir: So nicht, du Kuh!
Ich schlenderte eben durch Rewe als mich eine Frau erblickte, daraufhin blitzschnell in ihren Einkaufskorb am Boden griff und sich was unter den Arm klemmte. Kenner wissen, worum es geht: ein Portemonnaie. Ab da fragte ich mich, ob ich sie nicht mal mit ihrem Verhalten konfrontieren sollte. Immerhin hatte sie ja kein Problem damit, dass andere Menschen sogar an ihr vorbeigelaufen waren, als sie ihr Portemonnaie noch im Einkaufskorb hatte. Aber die waren ja auch alle weiß. Ich habe erst mal nichts getan und weiter meine Einkaufsliste abgearbeitet. Dabei habe ich nachgedacht: Willst du das wirklich wieder mit nach Hause nehmen? Dir vielleicht den Abend davon kaputtmachen lassen? Vielleicht sogar schlecht schlafen? Unsere Wege kreuzten sich mehrmals. Mittlerweile hatten sich die Krallen tief ins Portemonnaie gegraben. Als brächte das mehr Sicherheit. Närrin!
Nach einer Weile, ich hatte schon den Saft im Wagen, dachte ich mir: Ach, gehste noch mal zurück und plauderst. Also stand ich neben ihr und guckte sie an. Sie brauchte einen kurzen Moment zu verstehen, dass ICH tatsächlich SIE anguckte. Sie lächelte ein bisschen verzweifelt. Ich fragte: „Haben Sie eigentlich eine Ahnung, was ich verdiene?“ Sie antworte mit einem langen Schweigen und fragte schließlich: „Was Sie verdienen?“ „Nein, wissen Sie nicht!“, half ich ihr auf die Sprünge. „Und dennoch waren Sie gerade der Meinung, schnell ihr Portemonnaie vor mir in Sicherheit bringen zu müssen.“
Das hat gesessen. Sie versuchte freilich, sich zu verteidigen, weil sie doch niiiie ihr Portemonnaie in Einkaufskorb lassen würde. Und überhaupt könne das gar nicht sein, denn sie habe mich doch erst beim Couscous gesehen. Das Interessante: Ich hatte ihr noch gar nicht gesagt, wo ich sie erwischt hatte. Stattdessen habe ich ihr erklärt: „Wissen Sie, ich wohne seit ein paar Monaten in Mannheim und bisher ist mir die Stadt als sehr weltoffen aufgefallen. Das soll auch so bleiben. Ich dachte mir, dass ich noch mal schnell zurückkomme und Ihnen das sage. Dann kann ich heute Nacht nämlich ruhig schlafen.“
Ich nehme nicht an, dass die Frau nun wegen dieses Erlebnisses sofort ihr Klischeebild vom schwarzen Mann (Afrikaner, also bettelarm, also delinquent) ablegen wird. Aber vielleicht nimmt sie es mit nach Hause und macht sich ein paar Gedanken.
Am wichtigsten ist für mich: Ich ließ sie und ihr Rassismus-Problem beim Quark stehen. Mir geht es gut.
Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC
Großartig! Den Ball einfach mal zurückwerfen. Wahrscheinlich hat die Dame die Nacht schlecht geschlafen. :)
Meine Geschichte zu diesem „Stilmittel“: Meine Partnerin und ich (ja, beide weiblich) wollten Nachwuchs. Als aufgeschlossener Mensch müsstest du wissen, dass es da eine handvoll Möglichkeiten gibt. Vor unserer Verpartnerung („Homo-Eheschließung“) waren wir auf der Hochzeits- und Kindermesse in Leipzig. Dort befand sich ein Stand für Natürliche Familienplanung. Wir waren beide gut gelaunt, also haben wir die Dame am Stand einfach angesprochen. Höflich, interessiert. Diese kanzelte uns herablassend ab: „Nur für nomale Menschen.“
Wow! Wir guckten uns ein paar weitere Stände an, in mir brodelte es. Es war schließlich nicht der erste dumme Spruch. Und dann dachte ich: ‚Entweder versaut sie mir den Tag oder ich ihr ihren.“
Also zurück zum Stand. Habe der Dame höflich erklärt, sie habe in Sachen Frauen und Kinderwunsch noch Nachholbedarf. Ich ließ sie gar nicht zu Wort kommen, sondern dozierte mit schonungslosem Detailreichtum über „Bechermethode“ und Co (und vor allem, was der Mann bei dieser so machen muss) und das verklemmte Betschwesterchen wurde immer kleiner und in ihrem Gesicht hielt die Schamesröte Einzug. Dann sagte ich: „Nun haben Sie so viel gelernt, jetzt klären Sie mich doch bitte auf.“ So überrumpelt erläuterte sie mir tatsächlich die Symptothermale Methode (eine weiterentwickelte Version der Kalendermethode), bis sie am Ende auf einmal bemerkte, dass sie ja wider Anweisung und/oder persönlicher Meinung mit „nicht normalen Menschen“ wie uns sprach und erblasste. Ich bedankte mich artig und meinte: „Na, war doch gar nicht so schwer.“ Leider konnten wir den Lachanfall nicht zurückhalten, bis wir außerhalb ihrer Hörweite waren, aber macht ja nichts.
Und heute kann ich noch darüber lachen, während ihr Tag sicher verdorben war. Was sie nicht weiß und ihr sicher schwer zu schaffen machen würde: Meine Partnerin und ich sind tatsächlich mithilfe dieser Methode schwanger geworden. Unsere Kinder sind jetzt fast drei und ein Jahr(e) alt.
Ich habe den Artikel erst jetzt gelesen, nach dem Hinweis in deiner Reihe zu MA vs. LE: Und ich ziehe meine imaginären Hut. Sehr mutige und gute Reaktion! Respekt.