Nur weil Nazis in Heidenau mehrere Nächte praktisch ungehindert marodieren konnten, heißt das noch lange nicht, dass wir deshalb gleich ganz Sachsen an den Pranger stellen dürfen. Wir sollten ruhig erst kurz innehalten und weitere Gründe zusammentragen.

Ach, Sachsen. Mal wieder bist du ganz schön verwundert und verärgert, weil die Republik und auch die internationale Presse mit dem Finger auf dich zeigt. Obwohl die Gründe dafür auf der Hand liegen, weiß man vor Ort nicht so recht mit der neuerlichen Aufmerksamkeit umzugehen. „Wieso gehd’n unsor Image ’n Bach rundor?“, frag man sich landauf, landab. Daher lehn‘ ich mich mal aus’m Fenster und biete ein paar Denkansätze.

1. Rassismus („Nein!“ – „Doch!“ – „Oh!“)
Könnte dein schlechtes Image vielleicht daran liegen, dass du quer durch alle Schichten Rassismus, Islamhass und andere menschenfeindliche Einstellungen besonders laut, hässlich und offen vertrittst? Dass sich jetzt auch Akademiker und andere, die sich für etwas Besseres halten, (wieder) deutlicher trauen, ihren Rassismus auf nichtweiße Menschen zu erbrechen? Immerhin gehen bei dir ja über 2000 von 7000 Menschen aktiv und manchmal im Familienverband zum Rathaus, um gegen die Ansiedlung von Asylsuchenden zu unterschreiben.

2. Selbstsicherheit
Oder liegt das vielleicht daran, dass du in deiner Selbstsicherheit deine rassistischen Grundeinstellungen in wirklich jedes Mikro rotzt, das man dir vor deine Fresse hält? So überzeugt, dass du deine menschenfeindlichen Einstellungen sogar auf Nachfrage wiederholst? Sagte ich gerade jedes Mikro? Ja, jedes.

3. Jahrzehntelange Leugnung von Rassismus
Wer weiß, vielleicht liegt es auch an deiner Grundhaltung, Rassismus seit Jahrezehnten wegzudiskutieren und offensiv nach Ausflüchten zu suchen, zum Beispiel, indem du in Mügeln erklärst, dass Fümmzwanzsch Meedor geene Hetzjachd sin. Oder, was du in Leipzig gut kannst, etwas als Leuchtturm darzustellen, das allenfalls ein flackerndes Licht auf dem schon Jahre nicht mehr geleerten Plumpsklo ist. Keine Naziaufmärsche vor Asylunterkünften in Leipzig? Stattdessen gelebte Willkommenskultur?

Stümmt! Das hier waren in Wirklichkeit die Freunde der Krötenwanderung 1979 e.V. bei einer Ortsbegehung. Auch sonst sind die Leipziger Meister der Willkommenskultur, ganz besonders in Gohlis (CN: Graphic content, BILD). Gern auch mal in einer Kirche (CN: Stephane), vermutlich weil es da so schön kuschelig ist.

Aber das siehst du ja nicht, weil du zu sehr mit Weggucken und -ducken beschäftigt bist.

4. Schockierende Rückständigkeit
Liegt dein schlechtes Image vielleicht auch daran, dass dir als Hinterwäldler, der du nun mal bist, sogar der weiße deutsche Vater einer weißen deutschen Freundin so fremd vorkommt, dass du ihn als „Scheißtürken“ beschimpft, obwohl er allenfalls ein „Scheißniederbayer“ sein kann?

5. Stamina +1000
Oder hat das was mit deiner Ausdauer zu tun?

6. Struktureller Rassismus
Müssen wir die Gründe womöglich in dem Fakt suchen, dass rassistisches und rechtsextremes Gedankengut bei dir seit vielen Jahrzehnten gelebte Normalität ist? So normal, dass deine Bullen sich nicht auf die Suche nach Nazis machen, sondern deren Opfer gleich noch mal demütigen, indem sie lieber ihre Fahrräder auf Verkehrstauglichkeit überprüfen? Oder weil eben jene Ordnungsmacht desinteressiert mit den Schultern zuckt, wenn sie sieht, dass ein Opfer von Gewalt schwarz ist? Oder weil sie Pegida-Fotografen und andere Rechte mit Handschlag begrüßt? Oder weil es möglich ist, in einem deiner Gerichtsäle ein Opfer von Ausländer- und Islamhass zu töten, obwohl von vornherein klar war, dass der Täter vor Gewalt nicht zurückschrecken würde? Oder weil der hereinstürmende Polizist natürlich den nichtweißen Mann des Mordopfers als Täter ausmacht und ihn niederschießt?

7. Leidenschaftliche Jagd auf Linke
Bin ich vielleicht auf dem Holzweg und es liegt eher an deiner ausdauernden Jagd auf Linke und andere Menschen, die sich gegen rechts engagieren? Oder liegt es an deinem Unvermögen Unwillen, linke Menschen vor Nazis zu schützen?

8. Geistlose Geistliche
Wäre auch das schockierende Verständnis, das selbst Pfarrerinnen und Pfarrer (eigentlich Menschenfreunde qua Amt) in Heidenau für ihre rassistischen Schäfchen aufbringen, denkbar?

9. Unerfahrenheit im Umgang mit nichtweißen Menschen
Hat dein mieses Image vielleicht auch etwas mit deinen mangelnden Schauspielkünsten zu tun? Die machen dir es ja praktisch unmöglich, mir kalt ins Gesicht zu lügen, dass eine Stelle rein zufällig mal wieder vergeben ist. Natürlich kann ich viel deutlicher von der rassistischen Personalerin erzählen, die Schüttelkrämpfe kriegt, als sie merkt, dass der Typ, mit dem sie ’ne Stunde vorher telefoniert hat, schwarz ist. Natürlich kann ich plastischer von meinen Erfahrungen in der Jobbörse der Uni Leipzig berichten, wo man früher (und vielleicht auch heute) Nichtarier aussortierte, weil das Arbeitgeber in der Region so wünschten. Natürlich klingt ein Verhör mit drei Mitarbeitern (inklusive Überzeugungsversuch, bloß nicht bei Kaufland anzufangen) viel drastischer als eine schnöde Absage.

Ich könnte den ganzen Tag so weiter machen, aber ich hatte heute noch keinen Kaffee. Deshalb nur schnell noch als Bonus oben drauf:

10. Vorurteile
Dass du, Sachsen, geschichtlich bedingt sowieso pars pro toto für den tumben Ossi an sich stehst1 und dir Witze über deinen Dialekt anhören musst2, ist allenfalls ein dankbar genutzter Katalysator, aber wahrlich dein geringstes Problem. Vielleicht fragst du dich ja mal, wie es sein kann, dass ein schwarzer, während der Apartheid aufgewachsener, in Johannesburg lebender Südafrikaner mich fragt:

Du kommst aus Ostdeutschland? Wie hast du das denn überlebt?

Ich hoffe, ich konnte helfen.

Tschüssi,

dein Ali

P.S.: Ich ziehe es manchmal in Erwägung, meine sächsische Herkunft zu leugnen und als Geburtsort „Halle“ anzugeben.

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  1. Gänsefleisch!
  2. „Bitte bilden Sie einen Satz mit Angola.“ – „An Gola gönndsch misch dodsoofn.“

Brandon Doran, CC-BY-NC-ND