Mir wurde ein Zeit-Artikel vom Januar in die Timeline gespült, der mich mich sehr ärgert. In dem Artikel geht es um Diversity Management, also die Nutzbarmachung von Vielfalt. Daneben geht der Autor auf den Mechanismus der Belonging Uncertainty ein, was so viel bedeutet wie: Unsicherheit über die Zugehörigkeit. Wenn man Zweifel an der Zugehörigkeit zu einer Gruppe hat, etwa weil man die Codes (noch) nicht kennt, dann würde das Misserfolge begünstigen. Von dieser Unsicherheit sind laut einer Forschung, oh Wunder, besonders Minderheiten betroffen. So weit, so gut.
Was mir aber gehörig stinkt, ist, dass der Autor die Verantwortung für den Misserfolg auf Betroffene auslagert. Das tut er gleich am Anfang, als er schreibt, man solle sich vorstellen, dass man zu einer Party eingeladen wurde. Als man jedoch endlich ankommt, „geht Ihnen auf, dass Sie in der Einladung etwas übersehen haben: Alle Menschen sind komplett weiß angezogen, nur Sie tragen farbige Kleidung.“
Bitte?
Erstens: Minderheiten, die in einer neuen Gruppe dazustoßen, wissen in der Regel sehr genau, dass ihnen „Fähigkeiten“ fehlen, die für andere Menschen dieser Gruppe völlig normal sind. Ich denke dabei etwa an Arbeiterkinder, die als erste in der Familie ein Studium ablegen. Viele Arbeiterkinder trauen sich ein Studium erst gar nicht zu, weil sie wissen, dass sehr viel abverlangt werden wird, was sie gar nicht kennen. Sie sind recht orientierungslos. Ich denke da auch an mein Essen im Casino von SAP, wo auf dem Tisch mehr Besteck und Gläser als notwendig standen und wo alle darauf gewartet haben, dass der Ranghöchste am Tisch sagt, wann mit dem Essen begonnen wird. Kannte ich natürlich alles aus dem Fernsehen. Aber denkt ihr, ich wusste an dem Tag noch, wie diese Gedeckregeln funktionieren? Es wird natürlich Vieles mittels trial and error gelernt werden müssen, weil es keinen Leitfaden für alles Mögliche gibt und geben kann.
Zweitens: Am meisten nervt mich, dass der Autor mit dem Kleidungsbeispiel suggeriert, dass das ja jedem passieren könnte, danach aber auf Minderheiten schwenkt. Und das ist der Knackpunkt: Das, was Minderheiten passiert, kann nicht jedem passieren. Während man beim nächsten Mal genauer auf vorgeschriebene Kleidung achten kann (veränderlich), kann man etwa die Hautfarbe nicht einfach abstreifen (nicht veränderlich), um zu irgendeinem Club zu gehören. Das heißt, man wird einfach weiter diskriminiert.
Wenn Diversity Management also scheitert, dann in erster Linie deshalb, weil der Ansatz nicht durch die komplette Belegschaft hindurch getragen oder wenigstens verstanden wird. Und weil es keine Sanktionen für Menschen gibt, die rassistisch oder anders motiviert Menschen diskriminieren.
Nehmen wir mal ein typisches Beispiel: Ikea. Das Unternehmen hat sich auf die Fahne geschrieben, Diversität in der Belegschaft zu fördern. Als ich mich damals bei Ikea um einen Nebenjob bewarb, wurde mir erzählt, dass man darum bemüht sei, die Bevölkerungsstruktur des jeweiligen Standorts auch in der Belegschaft abzubilden. Die Mitarbieter in dem Gespräch hatten sogar Zahlen zum Migrationsanteil in dem Einrichtungshaus parat und man wunderte sich, warum deren Anteil an Bewerbern so viel geringer sei als der ohnehin schon geringe Anteil an der Bevölkerung in Leipzig und Halle.1
Es gab also ein zumindest rudimentäres Bewusstsein für Diversity und eine Ansage von oben. Aber hat das irgendwas gebracht? Nein, natürlich nicht. Während des gesamten Gesprächs und auch danach fiel im Zusammenhang mit Diversität niemals das Wörtchen „wir“. Das lag u.a. auch daran, dass weder Belegschaft noch Führungskräfte Diversity nur irgendwie verinnerlicht hätten. Aber klar, wir reden zwar von Ikea, aber immer auch noch von Ostdeutschland, wo Personalverantwortliche zu zittern anfangen, wenn sie einen Schwarzen Jobinteressenten kennenlernen.
Gleich am ersten Tag merkte ich, wie sehr sich weiße Mitarbeiter dagegen wehrten, mit Schwarzen zusammenzuarbeiten. Als mir die Arbeitsbereiche gezeigt wurden, wurde ich auch einer Kollegin im Kinderparadies vorgestellt. Denn dort sollte ich mit als erstes anfangen. Die normale Reaktion wäre jetzt gewesen: „Oh, schön, dich kennenzulernen. Ich bin Babette.“ So hat sie aber nicht reagiert. Neehee. Ihre erschrockene Reaktion war: „DAS GEHT AUF GAR KEINEN FALL! NÄH!“ Erst danach suchte sie nach Ausreden, warum das jetzt alles völlig unpraktisch sei.2 Während also weiße Mitarbeiter ihre Energie darauf verwenden könnten, am ersten Arbeitstag einen sehr guten Eindruck zu hinterlassen, wurde ich damit konfrontiert, dass ich unerwünscht bin. Meine Energie ging da natürlich dafür drauf, nicht meine Kollegin zur Rede zu stellen, sondern stattdessen nett zu lächeln. Warum? Beispiel 2.
Mein rassistischer Vorgesetzter bei Ikea. Der hatte die hässliche Angewohnheit, alle weißen Mitarbeiter in unserem Bereich freundlich, zumindest jedoch nicht abschätzig zu behandeln. Mich hat er bei jeder sich bietenden Gelegenheit dumm angemacht, angepöbelt oder nicht gegrüßt. Tja und dann gab es irgendwann Mitarbeitergespräche, die man freiwillig wahrnehmen konnte. Da es mir bei Ikea ansonsten gut gefallen hat und ich mir vorstellen konnte, da auch länger zu arbeiten, habe ich das getan. Während des Gesprächs habe ich darauf hingewiesen, dass ich bitte genauso behandelt werden möchte, wie alle anderen auch. Ich habe Wörter wie „Rassismus“ und „Diskriminierung“ vermieden, wohlwissend, dass Weiße da gern überreagieren.
Was ist dann geschehen? Denkt ihr, der weiße Vorgesetzte, an den die Informationen weitergeleitet wurden, hat sein Verhalten reflektiert? Natürlich nicht. Er war zwar auf einmal scheißfreundlich zu mir und hat mir sogar die Hand gegeben; eben wie bei den Weißen auch. Aber was ist noch passiert? Mein Job wurde nicht verlängert. Zusätzlich arbeiteten verschiedenen Akteure Hand in Hand daran, dass ich auch anderweitig keinen Fuß mehr bei Ikea fassen konnte. Man hat, nachdem ich den Betriebsrat eingeschaltet hatte, sogar eine Stelle „eingespart“, nur damit sie mich bei der Auswahl auf keinen Fall mehr berücksichtigen müssen.
Übrigens: Der Vertrag eines weißen Kollegen wurde anstandslos und viele Wochen vor dem Auslaufen seines Vertrags verlängert. Als ich darauf hinwies, dass das schon seltsam ist, reagierte er angepisst: „Ich habe halt einfach nachgefragt.“ Das habe ich auch. Im Gegensatz zu ihm sogar regelmäßig Interesse bekundet. Aber der Bursche ist halt weiß. Und fühlt sich darin bestätigt, dass er wegen seiner Leistung eine Verlängerung bekommen hätte. Ich dagegen weiß, dass ich die Verlängerung nicht bekommen habe, weil ich schwarz bin und in dem Zusammenhang auf Diskriminierung hingewiesen hatte.
Was nutzt also ein buntes Team, wenn die Privilegierten fröhlich weiter diskriminieren? Sogar der Zeitautor schreibt am Ende des Artikels: „Man muss auch willkommen sein […] Hier ist der Weg noch weit.“
Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC