Kürzlich warb Jagoda Marinić, die ich von Ihrer Arbeit im Interkulturellen Zentrum in Heidelberg kenne, im Deutschlandfunk für einen Mittelweg im Streit um die sogenannten Herkunftsdialoge.
Worum geht’s? Bereits Ende 2018 fragt Dieter Bohlen in der Sendung Das Supetalent ein kleines nichtweißes Mädchen, woher es käme. Das Mädchen, das übrigens erst fünf Jahre alt ist, antwortet: Herne. Jeder anständige Mensch hätte es bei dieser Antwort belassen. Nicht aber Bohlen. Der Juror bohrt beharrlich weiter und erhält von dem Kind immer wieder diesselbe Auskunft. Die „richtige Antwort“ gibt ihm erst die Mutter des Kindes.
Das Gespräch, das auf Twitter zurecht die Gemüter erhitzte, ist ein Paradebeispiel für einen Herkunftsdialog, wie wir als nichtdeutsch Gelesene ihn in Deutschland nur all zu gut kennen. Hierbei handelt es sich um Gespräche, in denen die nichtdeutschen (!) Wurzeln von oftmals wildfremden Menschen ausgeforscht werden, wobei ich fast versucht bin, von einem Verhör zu sprechen. Wenn weiße Deutsche nicht sofort eine gewünschte Antwort erhalten, dann forschen sie gnadenlos weiter und schrecken auch nicht vor den persönlichsten Fragen nach Herkunft und Familie zurück – oft sogar direkt als Gesprächseinstieg. Das Thema ist nicht neu und auch ich aber das eine oder andere Mal über das Ausgrenzungspotential der Frage nach der „wirklichen Herkunft“ geschrieben.
Marinić spricht sich dafür aus, solche Dialoge nicht überzubewerten und zu zeigen, dass sich Deutschland wirklich gewandelt habe, hier also Menschen mit hybriden Identitäten lebten. Nicht jede Frage nach der Herkunft dürfte als Ausbürgerung verstanden werden, der Geburtsort der Eltern oder Großeltern machten nicht mehr oder weniger deutsch als andere.
Stimmt. Mein Geburtsort oder der meiner Vorfahren nicht. Aber die Reaktion der Menschen, die nicht akzeptieren können, dass jemand sowohl deutsch als auch Schwarz sein kann.
In der deutschen Version der Frage „Und wo kommst du her?“, geht es nämlich gar nicht darum, von geotherten Menschen zu erfahren, wo sie herkommen (ich: Leipzig) oder wo sie WIRKLICH herkommen (ich: Deutsche Demokratische Republik), sondern es geht darum, herauszufinden, warum sie z.B. nicht weiß (ich: Schwarz) sind.
Das zeigt sich daran, dass weiße Menschen ziemlich lästig werden und zuweilen extrem aggressiv reagieren, wenn man nich bereitwillig den Stammbaum soweit offenbart, bis klar ist, warum man nich aussieht wie Peter oder Lieschen Müller. Noch deutlicher wird das, wenn man den Spieß umdreht und den Fragenden seinerseits ausforscht. Werden die Befrager ihrereits zu Befragten, reagieren diese normalerweise verwirrt bis gereizt. Die Abwehr liegt einerseits darin begründet, dass die weißen Detektive sich häufig keine Gedanken über ihre Herkunft gemacht haben. Warum auch? Für sie und die Gesellschaft war immer klar, dass sie Deutsche oder aus Herne sind, und nie hat nur irgendjemand diese Existenz bestritten. Sie sind ja weiß. Andererseits tritt bei dem Verhör ein Machtgefälle zutage: Die weiße Mehrheitsgesellschaft nimmt für sich in Anspruch, als nicht deutsch markierte Menschen nach sehr intimen Details auszufragen, gewährt diesen aber nicht den Minderheiten. Denn da wird für sie deutlich, was diese Fragen sind: unverschämte Spionage in der Intimsphäre.
Und noch ein pikantes Detail kann ich jedenfalls aus Schwarzer deutscher Perspektive ohne jeglichen persönlichen Bezug zur Schwarzen Ahnenreihe beitragen: Es ist vollkommen Wurscht, was du als Antwort gibst. Du kannst sagen, dass du aus Kuba kommst, du kannst sagen, dass deine Vorfahren aus dem Senegal stammen. Du könntest vermutlich sogar behaupten, dass dein Vater ein Prinz aus Zamunda war. Die Menschen, die so was fragen, wollen nämlich nicht wissen, woher man kommt, sondern warum man Schwarz ist. Und da geht wirklich jede Antwort, die die Erwartungen erfüllt. Ich gebe manchmal verschiedene Antworten, andere machen daraus eine regelrechte Kunst. Aus eigener Erfahrung und durch Gespräche mit anderen Schwarzen Deutschen weiß ich, dass das Gespräch bei der „richtigen Antwort“ sofort verstummt oder das weiße Gegenüber, wenn es anknüpfen kann, das Gespräch auf sich lenkt: „Ohsiekommenaussüdafrikaichwarmaleinhalbesjahringhanatolloder!?
Bohlens Total-Ausfall, auf den der Twitter-Hashtag #vonhier zurückgeht, ist mitnichten ein Versehen, Patzer oder typischer Bohlen. Was da in der Sendung passierte, ist der Normalzustand für Menschen wie mich. Der Total-Ausfall hat diesen Normalzustand lediglich für kurze Zeit in das öffentliche Bewusstsein gerückt.
Wie Marinić aus den USA kenne ich die Frage nach der Herkunft ebenfalls aus einen anderen Kontext. In Südafrika, dass eine sehr diverse Gesellschaft hat und wo über Jahrzehnte ein Apartheidsregime installiert war, gehört die Frage „Where are you from?“, ebenfalls zum – wenn man so will – guten Ton. Während meiner Zeit dort bin ich aufgrund meines anfangs noch verhältnismäßig starken Akzentes und meiner gar nicht „typisch schwarzen Art“ oft gefragt worden, woher ich denn käme. Adhoc fällt mir nur eine Person ein, die meine Antwort „Deutschland“ nicht akzeptieren wollte. Die war weiß, besoffen und außerdem der Ansicht, dass ich sowieso nichts in ihrem Land zu suchen hätte. Ansonsten wurde meine Antwort (manchmal nicht ohne Staunen) rundheraus akzeptiert und es ergaben sich tatsächlich sehr interessante Gespräche. Denn die Leute haben sich wirklich dafür interessiert, woher ich komme und nicht, warum ich Schwarz bin. Nach ein paar Monaten gingen sie sogar erst einmal davon aus, dass ich Südafrikaner bin. Damit einhergehend verschob sich der Zeitpunkt, wann ich gefragt wurde, woher ich komme. Im Gegensatz zu Deutschen wissen Südafrikaner nämlich sehr wohl, wann diese Frage passend ist und wann eben nicht.
Es geht überhaupt nich darum, diese Herkunftsfrage zu verbieten. Nirgends las ich eine solche Forderung. Menschen wie ich wollen halt nicht nur auf die Herkunft reduziert werden. Man kann die deutsche Gesellschaft als divers verstehen, auch ohne einen Vorfahren-Striptease abzuverlangen. Man sollte halt nur akzeptieren, dass es auch Schwarze und andere nicht als originär deutsch wahrgenommene Deutsche gibt. Die Unlust der Einen, sich bei jeder noch so unpassenden Gelegenheit zu entblößen, steht keinesfalls im Widerspruch zu der Lust der Anderen, mehr über sich zu offenbaren und Bücher über ihre Heimat(en) zu schreiben. Ganz im Gegenteil: Ihr, die Mehrheitsgesellschaft, gebt uns, den Migranten/Minderheiten/nichtweißen Deutschen, das Gefühl, dazuzugehören – wenn wir nur beides dürfen ohne uns ständig rechtfertigen zu müssen.
Ein guter Mittelweg wäre also einer, in dem sich die Mehrheitsgesellschaft mal auf uns zubewegt.
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Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC