Wenn es nur eines weiteren, eines finalen Beweises bedurft hätte, dass Leipzig kein Ort ist, an dem ich mich als schwarzer Mensch sicher fühlen kann, ja darf, dann wurde dieser am Silvesterabend erbracht. Der Entschluss, meiner Heimat Leipzig den Rücken zu kehren, erwieß sich abermals als richtig und wichtig. Denn das neue Jahr fing so übel an, wie das alte endete.
Freunde hatten mich eingeladen, bei Ihnen in Stötteritz das Jahr ausklingen zu lassen und zum Abschied noch mal einen schönen Abend zu erleben. Das ging soweit auch gut. Bis wir auf andere Menschen trafen. Es war null Uhr und die Freunde wollten nach dem Anstoßen gern runtergehen, um ein paar Böller zu zünden.
Schon nach wenigen Sekunden kam ein erster, betrunkener Pisser zielstrebig zu mir und zischte, was die anderen nicht mitbekommen hatten: „Da ist ‘n Nigger in dor Masse“, was auch immer das heißen soll. Weil ich, geübt darin, nicht darauf reagierte, verkrümelte er sich auf die andere Straßenseite zu einer Gruppe von Menschen. Minuten später tauchte auf unserer Straßenseite eine weitere Gruppe von Menschen auf, offensichtlich Lok-Fans. Denn sie brüllten: „L, O, K! L, O, K!“ Dabei blieb es leider nicht.
Aus irgendeinem Grund fühlte sich die Gruppe dazu berufen, eine nationalistische, rassistische und antisemitische Fanfare anzustimmen. Sie brüllten „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen!“ und irgendeine Hetze, die auf Juden bezogen war. Auch ohne die Scheiße war eine sehr aggressive Stimmung zu spüren. Die Lok-Nazis waren auch diejenigen mit dem übelsten Böllern. War ich eh schon von Anfang an vorsichtiger – so stand ich lieber ein bisschen weiter weg und achtete darauf, dass mein Rücken frei blieb –, wurde mir die Sache langsam zu heikel, weshalb ich mit einer Freundin (auch schwarz) vereinbart hatte, dass sie die Haustür aufschließt. So könnten wir, falls es brenzlig würde, schnell verschwinden. Das ist wichtig, weil alle Über- und Angriffe, die ich bisher erlebte hatte, spontane Taten waren. Nie gab es vorher Streit zwischen mir und den Agressoren. Ich war einfach da, und die Menschen nutzten die Gelegenheit. Vorsicht war also angebracht, zumal die Gruppe mittlerweile Sätze wie „Heil Hitler“ und nationalistische Tiraden, die ich bereits wieder verdrängt habe, brüllte.
Bemerkt hatten sie uns bis dato anscheinend nicht. Aber plötzlich bewegten sie sich schnurstraks in unsere Richtung. Der schwarzen Freundin und mir wurde sofort ganz anders und wir traten den Rückzug an. Ich muss, glaube ich, nicht erwähnen, dass wir zwei danach hellwach waren. Nachdem die Gruppe an uns vorbeigelaufen war und unsere weiße Freunde sagten, dass die Luft jetzt rein sei, sind wir wieder raus. Solange wir aber da unten stand, ging es mir schlecht.
Schon seit jeher ist Silvester in Leipzig für mich mit Stress verbunden. Zu oft habe ich erlebt, wie rein „zufällig“ Böller und Raketen in meine Richtung geflogen sind. Deshalb handhabe ich es seit vielen Jahren so, dass ich, wenn ich raus muss, meine Kapuze entweder in die Jacke stecke, oder sie, wenn es geht, komplett abmache. Mir ist das Risiko zu hoch, dass so ein Ding mal in der Kapuze landet und mir enormen Schaden zufügt. Denn um nicht anderes geht es bei diesen Übergriffen, die für Leipzig mehr als typisch sind. Schon als ich ein kleines Kind war, haben Menschen Bierflaschen aus dem Fenster nach mir geworfen. Vergangenes Jahr warf jemand aus dem Fenster eine brennende Zigarette auf mich, die nur wenige Zentimeter vor mir auf dem Boden landete.
Dieses Mal hatte ich meine Kapuze nicht reingsteckt. Erstens war ich ja bei Freunden verabredet und zweitens war ich nicht davon ausgegangen, dass wir all zu lange unten sein würden. Mit meinem Ende in Leipzig wurde ich wohl etwas leichtsinnig. Als ich die Lok-Nazis gröhlen hörte, entschied ich mich dann doch dafür, es wie immer zu halten.
Leipziger Tradition.
Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC
Weißt Du, auch wenn es aktuell den vielen Opfern und dir nicht hilft, ich glaube ganz fest an Karma und irgendwann werden dieses Lumpen- und Mörderpack die gejagten sein. Sollen sie in der Hölle schmoren.
Ich war seit Jahren nicht mehr in Leipzig. Nicht mehr, seit solche Typen mich eindeutig als „anders“ einsortieren würden, und niemals mit meinem deutlich nicht deutschen Mann. Ich bedauere es, es gab viele Gegenden, die ich ihm gerne gezeigt hätte. Aber solche Vorfälle, auch wenn sie meist noch glimpflich abgehen, brauche ich nicht.
Im Westen des Landes ist es anders. Nicht zwangsläufig besser – eher versteckter. Mein Sicherheitsgefühl kam mir allerdings schon lange vor meiner Auswanderung abhanden. Aber das ist ein weites Feld, wie Fontane gesagt hätte ….
Hach das ist alles so zum Schämen! Komm nach Berlin! Scheiss auf die Provinz!
Ich bin echt froh, dass du Leipzig verlässt. Kann mir nicht vorstellen, wie es ist, mit so viel Hass zu leben. Hoffen wir, dass dein 2015 besser wird :)
@Oppa: Ich wünsche diesen Menschen lebenslangen Durchfall!
@Susanne: Ja, vesteckter auf jeden Fall. Ich freue mich aber darauf, mal etwas zur Ruhe zu kommen.
@Jettero: Zumindest bin ich ja erst mal aus der Zone raus! \o/
@Naekubi: Aber hallo! Ich bin sehr zuversichtlich! :-)
Hallo, tut mir leid, wenn dir so ein Fremdenhass von solchen hohlen Pissern entgegengebracht wird. Aber ich hoffe trotzdem, dass du weißt, dass wir Leipziger nicht alle so sind und behältst Leipzig trotzdem irgendwie in guter Erinnerung. :)
Nur weil solche Hohlbirnen lauter und aggressiver vorgehen, heißt das nicht, dass sie in der Mehrzahl sind. Ich verabscheue diesen Fremdenhass.
Ich bin ja selbst Leipziger, Doreen. Die Stadt habe ich genau wegen der Scheiße verlassen. Es sind ja nicht nur Lok-Nazis, sondern auch sehr viele Menschen der bürgerlichen Mitte, die sich nicht erst seit Legida und Co. zusammenrotten und mir vermitteln, dass ich nicht erwünscht bin.
Das tut mir echt leid für dich. Ich hoffe, du bist in der neuen Stadt glücklicher. Alles Gute!!!
Hallo,
ich lese hier seit ein paar Monaten mit und werde (fast) jedes Mal wütend, wenn ich deine Berichte lese. Sie geben aber auch Energie für den Kampf gegen Rassismus, der hier meistens wirklich versteckter ist. Oder vielleicht fehlt auch nur ein entsprechender Blog, um die Übergriffe sichtbar zu machen. Danke jedenfalls.
Solidarische Grüße
Hiermit entschuldige ich mich für das Verhalten meiner Mitmenschen.
Ich komme aus Süddeutschland und hier herrscht, bis auf wenige Ausnahmen, Gott sei Dank eine andere Mentalität.
Ich wünsche Dir alles Gute und hoffe sehr, dass solche Erlebnisse in Zukunft der Vergangenheit angehören.
Wenn Leipzig so ein übles Pflaster ist, dann will ich da kein Geld mehr bei gelegentlichen Reisen auf Musikfestivals lassen.
Das tut mir echt leid, ich war früher als Jugendlicher ständig im Dorf in Gefahr von Rockern verprügelt zu werden, ich kann mich ein bisschen in dich hineinversetzen, natürlich nicht vergleichbar mit deiner Situation. Sorry für meine Landsleute die so dumpf im Kopf sind, dass es mir schlecht wird.
Völlig inakzeptables Verhalten, klar. Mehr muss man dazu nicht schreiben. Das Ganze allerdings als typisch Leipzig zu bezeichnen, ist Quatsch. Da könnte ich, der ich zahlreiche Silvesternächte in Connewitz verbracht habe, auch schreiben, dass es typisch Leipzig ist, alles was irgendwie „deutsch“ aussieht (Glatze, Thor Steinar-Sachen, Fähnchen am Auto, Polizei, etc.) anzugreifen. Solches Verhalten ist typisch für Rassisten bzw. in meinem Beispiel für Linksextremisten und nicht typisch für eine Stadt mit geringem Nazi-Anteil und einem breitem Widerstand gegen diese.
Ein Freund von mir hatte hier in den sechzehn Jahren, die er in Leipzig wohnt, kein einziges gefährliches, rassistisch motiviertes Erlebnis. Gerade in Berlin angekommen, der ach so weltoffenen Stadt, musste er Todesängste ausstehen. Den Tätern konnte man aber nicht wirklich vorwerfen, besonders deutsch gewesen zu sein.
Hm, schon mir wirfst du vor, dass das alles Quatsch sei. Könnte das vielleicht auch der Grund sein, warum dein Freund™ dir nicht erzählt, ob und was ihm in Leipzig widerfahren sein könnte, wenn du dich mit Verve in die Diskussion stürzt, Leipzig zu verteidigen und Rassismus als Einzelfälle zu bagetellisieren?
Das ist übrigens eine beliebte Karte, die du da ziehst: „Not all [kritisierte privilegierte Gruppe]!!1“, erschallt es regelmäßig, sobald Kritik geübt wird. Ich verrat dir ein kleines Geheimnis: Hier steht nirgendswo, dass alle Leipziger so seien.
Und nebenbei: Eine Stadt wie Leipzig braucht keinen hohen Nazianteil, um für nichtweiße Menschen unerträglich zu sein. Die ganzen ekelhaften Rassisten in dieser Stadt schaffen das schon von ganz allein.
Hallo,
Mein „Quatsch“ war nicht auf deinen Erlebnisbericht gemünzt, sondern auf die Behauptung, dass solche Probleme nur typisch für Leipzig seien. Ich sehe den selben Schwachsinn in anderen deutschen Städten, europäischen Ländern und generell westlichen Gemeinschaften. Ich wollte damit ausdrücken, dass es sich eher um ein generelles und kein lokal begrenztes Problem handelt, also wahrlich keine Relativierung solcher Verbrechen vornehmen.
Das mit der privilegierten Gruppe ist mir nicht ganz klar geworden, da ich (wohl etwas naiv) eine glasklare Trennung zwischen den rassistischen und den übrigen Leipzigern sehe. Letztere brauche ich mMn daher gar nicht zu verteidigen. Die Verteidigung wäre nur notwendig, wenn man allen Leipzigern Rassismus unterstellen würde, was keiner von uns beiden gemacht hat.
Die Aussage hinter der Trademark hat mich übrigens verletzt, ist aber von deiner Position aus verständlich.
Aber lass‘ dich von mir in deinem Blog nicht ärgern. Meine Meinung, dass Rassismus scheiße aber kein spezielles Leipziger Problem ist, sollte rübergekommen sein, ebenso das man etwas dagegen tun sollte. Dann ein schönes Wochenende, vielleicht sieht man sich ja am Montag.
Eben mit „Quatsch“ relativierst du meine Erfahrungen, die, was Rassismus betrifft, intensiv und vor allem fortdauernd sind. Daneben steht nirgendswo, dass meine Erfahrungen nur für Leipzig typisch seien. Es gibt außerdem sehr wohl spürbare Unterschiede, die i.d.R. darauf zurückzuführen sind, dass die Menschen z.B. in Ostdeutschland keine bzw. kaum Erfahrungen mit nichtweißen Menschen haben. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich bisher nur in Leipzig angespuckt wurde, nicht aber z.B. in Passau, wo ich drei Jahre gelebt habe, oder in Hamburg, Berlin und Mannheim.
Im Text steht eindeutig „Leipziger Tradition“, nicht etwa „deutsche Tradition“ oder „westliche Tradition“.
[Karneval ist eine Kölner Tradition. Trotzdem nehmen nicht alle Kölner daran teil. Rest deines Derailings gelöscht. /Ali]
So ein Hick-Hack, lies den Text lieber nochmal – vielleicht ergibt sich dir dann ein Zusammenhang zwischen Leipziger Tradition und den letzten beiden Absätzen.
Ali, wie schaffst Du es nur, dieses elendige Gelaber zu ertragen!?? Ich wünsche Dir viel Kraft und Danke für Deine Erfahrungsberichte. Alles Gute in der neuen Stadt. Power to the non-white People! ;)
[Haha, irgendwann ist auch bei mir Schluss. Den letzten Kommentar habe ich gelöscht. Äh, ich meinte „zensiert“. /Ali]
Hey,
als Nicht-Weiße kann ich dich absolut nachvollziehen, was du da durchmachen musstest, da ich selber schlimme Erfahrungen mit Rassismus gemacht habe. :/ Es ist auch eine Unverschämtheit von diesen Idioten, einen mit Gegenständen zu bewerfen oder einen dumm anzumachen, nur weil man „anders“ aussieht. :( Ich war zwar noch nie in Leipzig, aber ich habe schon öfters von Leuten gehört, dass man in Ostdeutschland die Fremdenfeindlichkeit stärker spüren kann als im Westen. Das ist einer der Gründe, weshalb ich mich bisher noch nie in den Osten getraut habe. Eigentlich sollte sowas in einem offenen, toleranten Land nicht geben… Na ja, ich hoffe, dass es dir dort, wo du jetzt wohnst, besser geht. :)
[Also bisher bin schwer begeistert! <3 /Ali]
Hej Ali! Ich wollte nur mal danke sagen für deinen Blog! Er öffnet mir immer mehr die Augen und hilft mir vieles einzuordnen. Ich arbeite in Brandenburg (wo die Mentalität der Leute teilweise mit Sachsen vergleichbar zu sein scheint) mit Menschen aus allen Ländern (die meisten Flüchtlinge) und es ist manchmal kaum auszuhalten wenn sie von ihren Erlebnissen und dem Rassismus berichten, den sie dort ertragen müssen! Und das Gleiche gilt eben auch für die, die hier geboren, aufgewachsen und verwurzelt sind und bei denen ihre Zugehörigkeit zur Gesellschaft nicht akzeptiert wird! Und ich fand es unglaublich hilfreich und wichtig von jemand aus deiner Position (Akademiker, Leipziger) zu erfahren wie sich der alltägliche Rassismus zeigt und woran man ihn festmacht. Ich glaube Leipzig verliert eine ganz wichtige Stimme, aber ich wünsche dir und hoffe für dich, dass du woanders einen guten Neustart schaffst!
[Vielen Dank für dein Lob! :) /Ali]
Lieber Ali, ich kann dich extremst gut nachvollziehen. Ich, Schwarz, bin in Schwerin aufgewachsen. Zur guten Rostock-Lichtenhagen-Zeit war ich ca. 13/14 Jahre alt. Ausgrenzungen, Beleidigungen, Anspucken, Demütigungen, körperliche Attacken waren quasi mein „Alltag“. Bei meinem letzten Besuch in Schwerin wurde ich innerhalb eins Aufenthaltes von 30 min in der Innenstadt gleich zweimal als „Affe“ bezeichnet. Dazu eine aggressive, gegen mich gerichtete Stimmung, die kaum auszuhalten war. Für mich war danach klar: Schwerin? Nie wieder! Deine resolute Haltung gegen Derailing-Trolle, Relativierer und Leugner finde ich sehr begrüßenswert. Ja, und nicht alle Schweriner waren rechte Schläger, auch wenn das zu dieser Zeit extremst viele waren. Daneben gibt es natürlich noch die Hardcore-Rassisten, die „nur“ verbale Gewalt anwenden und die Hardcore-Rassisten, die dich nur durch Blicke und Gesten spüren lassen, was sie von dir halten und dann gibt es noch die große Masse weißer Deutscher mit unterbewussten rassistischen Denkmustern (Sie sprechen aber gut Deutsch. Wollen Sie mal nach Afrika zurück? Habe neulich diese Doku gesehen, machen das deine Leute wirklich so?) Muss ich dir ja alles nicht erklären.
Spitzenarbeit mit dem Blog! Bleib stark, mach weiter.
Black Power!
Vielen Dank für dein Lob. Und: Wow! Schwerin. Das stelle ich mir gleich noch mal ’ne Ecke härter vor. Ein paar Auslandsstudenten von meiner letzten Arbeitsstelle in Leipzig waren letztes Jahr in Rostock-Lichtenhagen. Sie kannten die Geschichte der Stadt nicht und wussten auch nichts von dem Klima dort. Das wurde ihnen aber sehr schnell klar. Dazu hatte ich hier mal was aufgeschrieben: Heute vor 22 Jahren: Der Mob von Rostock-Lichtenhagen.