Altbackene Tradition trifft auf Gleichstellungsbeauftragte trifft auf eingeschnappte Leberwürste trifft auf (frauenverachtende) Trolle. Oder auch: Im beschaulichen Passau ist die Hölle los. Eine Vereinigung von Sportstudenten an der Uni Passau wollte während des Unisportfestes die fragwürdige Tradition des Fensterlns fortführen. In einem Wettbewerb treten Männer gegeneinander an, die am schnellsten zu ihrer Liebsten gelangen und dabei Gefahren überwinden sollen, um ihre wahre Liebe zu beweisen.

Mei, die Bayern. Normalerweise würde ich mich nicht weiter damit befassen, Passau ist ja weit weg und sonst hör‘ ich von derlei Traditionen nichts. Allerdings bin ich mit Passau dann doch mehr verbunden, als mir momentan liab is: Da habe ich nämlich studiert. Und als Ehemaliger muss ich doch staunen, wie viel Sexismus sich gerade Bahn schlägt.1 Denn gegen das Fensterln hat sich die Gleichstellungsbeauftragte der Uni (oh, wow, in Passau gibt es eine Beauftragte für Gleichstellung) ausgesprochen. Sie soll, jammern die Sportstudenten auf Facebook nun, mitgeteilt haben, dass die Tradition™ gegen das Gleichstellungskonzept der Uni verstoße. Laut Ausschreibung durften nämlich nur Männer antreten. Daneben, schimpfen die Sportstudenten (Klischee, ick hör dir trappsen), würden Frauen nach Ansicht der Verwaltung zu Objekten degradiert, was selbstverständlich überhaupt nicht stimmt!1!

Nun ist allenthalhalben die Rede davon, dass die pöhse Gleichstellungsbeautragte die Gaudi verboten (verrrboten, jawoll!) hätte, woran die Sportstudenten nicht unschuldig sind. In ihrem Facebook-Beitrag erwecken sie nämlich den Eindruck, dass sie dazu gezwungen worden wären: „Leider müssen wir das für die Campus Games am Donnerstag geplante Fensterlkönig Event verschieben.“ Mussten sie aber gar nicht. Bei Mediendenk2 nämlich, wo auch jetzt noch irreführend von einem Verbot des Events die Rede ist, wird die Uni Passau in einem Update mit den Worten zitiert:

Die Veranstaltung wurde weder von Seiten der Gleichstellungsbeauftragten noch seitens der Universität verboten. Die Veranstalter hatten im Gespräch mit der Gleichstellungsbeauftragten zu einer Kompromisslösung in der Kommunikation und Durchführung gefunden, mit der die Veranstaltung dem gesetzlich vorgeschriebenen Gleichstellungsauftrag der Universität genügt hätte. Somit hätte die Veranstaltung aus Sicht der Universität stattfinden können. Der veranstaltende Verein hat die Veranstaltung aus eigenen Beweggründen abgesagt.

Eigene Beweggründe? Ich tippe ja auf Kastrationsangst (und übrigens auch Homophobie). Der Kompromiss sah nämlich vor, dass sowohl Männer als auch Frauen bei dem Wettkampf antreten dürften. Ja, aber: „Wenn ich jetzt anfange, Männer auf den Balkon zu stellen und Frauen über die Leiter zu schicken, für so ein Spiel meldet sich doch niemand“, wird Spielleiter Niko Schilling zitiert. Und genau das ist der Knackpunkt: Einer der Vorwürfe, die sich gegen den Fensterln-Wettbewerb richten und der für die Kritisierten wohl am wenigsten nachzuvollziehen ist, befasst sich mit der Degradierung von Frauen zu Objekten. Eben das findet hier statt: Frauen sind nicht selbstständig, sondern warten passiv darauf, von den Männern erobert zu werden. Nun stelle man sich mal vor, wir drehten den Spieß um und Frauen würden jetzt zu ihren Männern eilen. Allein die Vorstellung mutet beinahe genauso ungeheuerlich an wie Frauen, die im Film mal nicht nur stolpern, sondern Actionszenen dominieren. Pfui bäh!

Pfui bäh! Das sieht die Mehrheit der Kommentierenden unter dem Facebook-Beitrag der Sportstudenten wohl ganz genau so. Das Konzept selbstständige Frau ist da überhaupt nicht vorgesehen. Da werden Beledigungen an Beleidungen gereiht und der Genderwahnsinn herbeifabuliert. Nur ein paar Aussetzer:

  • Ein Kommentator kopiert eine hochgradig beleidigende Mail (Bodyshaming, Sexismus) mitsamt E-Mail-Adresse der stellv. Beauftragten in die Kommentare. Es wird nicht klar, ob er die Mail so abgeschickt hat, oder diese „nur“ als Vorlage dienen soll (scheint mittlerweile gelöscht worden zu sein): 20 Likes.
  • Eine Kommentatorin behauptet stur, dass die Frau ja als etwas Wertvolles dargestellt würde (was übrigens gar nicht zur Debatte steht): 228 Likes.
  • Eine Kommentatorin unterstellt der Beauftragten, dass sie persönliche Enttäuschungen mit ihrer Arbeit verquicken würde: 28 Likes.
  • Eine Kommentatorin fragt, ob die Veranstalter denn Männer seien, wenn sie sich die Gaudi von einer Gleichstellungsbeauftragten absagen ließen: 60 Likes.
  • Eine Kommentatorin fabuliert von „Emanzenschwachsinn“: 121 Likes.
  • Die Sportstudenten Passau stimmen zu, dass ihre Veranstaltung zweideutig und mit sexuellen Anspielungen aufgezogen ist, aber „das gehört halt auch dazu“: 111 Likes.
  • Ein Kritiker namens Kevin wird in den Kommentaren mehrfach persönlich angegriffen. Die Likes habe ich nicht gezählt. Allein der Vorwurf, ein linksgrüner Ideologe zu sein, wird mit 71 Likes bedacht.

Und so weiter und so unheiter. Hierbei darf man übrigens davon ausgehen, dass das Gros der Kommentatoren (ehemalige) Studentinnen und Studenten der Uni Passau sind. Mittlerweile tummeln sich da aber auch Rassisten, Identitäre und Männerrechtler. Einfach auf „xxx mal geteilt“ klicken und würgen.

Weiterer Knackpunkt: Frauen werden extrem sexualisiert. Nicht nur müssen sowieso alle Teilnehmer in Tracht erscheinen, was für Frauen Dirndl3, also aufreizende Verpackung, heißt. Es wird seitens der Veranstalter zusätzlich u.a. auch von „Holz vor der Hüttn“ und „nageln“ gesprochen, wobei der erste Ausruck für eine üppige Oberweite steht und der zweite für … Sie ahnen es: Männer in Aktion. Das heißt, bei Frauen wird durch die Anspielung noch mal schön deutlich auf das Äußere hingewiesen (OBJEKT, ihr Trottel!), während Männer noch mal schön deutlich aktiv werden müssen.

Ankündigung für die, die Auswirkungen von Ismen nicht so gut begreifen können: Harter Cut! Die Rollenverteilung Frau passiv/hilflos — Mann aktiv/beschützend findet ihren Niederschlag nicht nur in Filmen und bei solchen fragwürdigen Spielchen, sondern auch im „realen Leben“. Für mich wird das aus meiner schwarzen deutschen Perspektive besonders deutlich. Da ich als schwarzer Mann als Gefahr für deutsche (vulgo: weiße) Frauen gelte, erlebe ich weiße Männer als besonders aggressiv. Wenn ich zum Beispiel in Leipzig auf der Straße entlanglaufe, passiert es mir oft, dass Männer anfangen, möglichst breitbeinig zu laufen und ihre Freundin/Ehefrau noch ein bisschen näher an sich ranzuziehen. Obwohl überhaupt nichts passiert ist, triggert allein meine (vom weißen Mann sexuell aufgeladene) Existenz einen Beschützer- und Revierverteidigungsinstinkt. Das heißt, die Frau hat (noch) nichts gesagt, aber der Mann wird aktiv. Ich weiß von einem Fall, in dem ein nichtweißer Mann eine weiße deutsche Frau etwas fragen wollte, aber gar nicht dazu kam, denn: „Gott sei Dank hat mein Mann den verscheucht, als er dazukam.“ Selbige Einstellung findet sich auch bei all den Luschen, die immer davon sprechen, dass die Ausländer uns die Frauen wegnähmen. Merkt ihr was? Dinge kann man wegnehmen. Auch bei solchen Äußerungen kommt die Frau als mündige, sich für den Ausländer™ entscheidende Person nicht vor. Der weiße männliche Schutzinstinkt kann dabei so weit gehen, dass es nicht nur bei breiten Beinen bleibt, siehe Hetzjagd in Mügeln.4

Achtung, jetzt kommt noch mal ein härterer Cut: Bei dem 2005 in einer Polizeizelle getöteten Oury Jalloh gingen weiße deutsche Polizisten, nachdem sie eines nachts alarmiert worden waren, sofort davon aus, dass er Frauen sexuell belästigen wollte. Er war ja Afrikaner. Das sagten sie ihm aber nicht, sondern verhafteten ihn. Wenige Stunden später war er tot. Laut eines sehr hörenswerten Features sollte Oury Jalloh eine Lektion erteilt werden, die aus dem Ruder gelaufen sei: „Es sei um sexuelle Demütigung und Rassismus gegangen. Tatsächlich war der Unterleib Oury Jallohs besonders tief verbrannt.“ Bevor Jalloh verhaftet wurde, wollte er von Frauen ein Handy leihen.

Bei den Campus Games soll übrigens auch Wife Carrying angeboten werden. Wieder so eine Aktion, bei der Frauen passiv sind und zu Objekten degradiert werden. Sie werden nämlich über einen Parcours getragen und anschließend gegen Bier aufgewogen. So sahen es jedenfalls die Originalregeln vor. Die wurden dahingehend geändert, dass jetzt auch Frauen ihre Partner tragen und gleichgeschlechtliche Pärchen teilnehmen dürfen. Ich hoffe auf viele haarige BPärchen.

Auf meine Frage, was gegen eine Öffnung von Fensterln spricht, haben die Sportstudenten Passau leider nicht reagiert.

***

Nachtrag, 23.40 Uhr: Die Sportstudenten (ja, die mit dem „Genderwahn“) haben eine „Stellungnahme“ veröffentlicht, in der sie sich ob der Angriffe überrascht geben. An ihrer Position halten sie freilich fest und Angriffe werden nicht (konsequent) gelöscht.

Die Uni Passau hat eine ziemlich kluge Stellungnahme des Präsidenten veröffentlicht, von der besonders Mann was lernen könnte. Zwei von zwei Kommentatoren haben schon versagt.

Nachtrag, 20.05.: Wie so oft bei Ismus-Themen hat sich ein privilegierter weißer männlicher (ich mutmaße: heterosexueller) Jurist eingeklingt und einen Bären aus dem Hut gezaubert (gibt’s die eigtl. im Zehnerpack?):

Die Gleichstellungsbeauftragte der Universität Passau, Dr. Claudia Krell, hat die Veranstalter der Campus Games wissen lassen, dass das bei dieser Veranstaltung geplante „Fensterln“ gegen das Gleichstellungskonzept der Universität Passau verstoße. Ein solcher Verstoß ist freilich nicht zu erkennen. Vielmehr handelt sich bei der Stellungnahme der Gleichstellungsbeauftragten um eine undurchdachte Aktion, die den berechtigten Belangen von Gleichberechtigung und -stellung einen Bärendienst erweist.

Aus Sicht eines privilegierten, weißen, männlichen (ich mutmaße: heterosexuellen) Juristen ergibt das vermutlich sogar Sinn; nämlich dann, wenn man annimmt, dass „die Sicherung der Chancengleichheit von Frauen und Männern“, wie sie das Gleichstellungskonzept der Uni Passau auch ganz allgemein als Aufgabe beschreibt, erst bei formellen Aspekten wie Ämterbesetzung gefährdet sei.

Show 4 footnotes

  1. Okay, ich bin schockiert, aber nicht wirklich erstaunt.
  2. Das Medium zitiere ich eigtl. nicht so gern.
  3. Ich wart‘ schon auf die ersten Derailer: „Du bist wohl schwul, dass du Dirndl nicht sexy findest???“
  4. Erinnert sei auch an die rassistische Schülerin in Schneeberg, die von „Asylandn angebaggord“ werden, genauso schlimm findet wie bestohlen zu werden.

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC