Mannheim, du schmutziges Stück Stadt! 5 Jahre ist es nun her, dass wir uns kennengelernt und ich mich entschieden habe, mich hier niederzulassen. 5 Jahre, in denen ich Gelegenheit hatte, mich einzuleben und zu entfalten. Bei all dem Verbesserungspotential, das in dir schlummert, gibt es doch Vieles, was du schon richtig machst und viel besser kannst als meine alte Heimatstadt Leipzig. Radwege sind’s ironischerweise nicht. Aber darum soll’s heute nicht gehen.
Diesen Text widme ich @evilmel_, die früher immer gesagt hat:
„ALI, GEH DA WEG!“
Man, was war ich Ende 2014 aufgeregt, als ich meine Zelte in der Messestadt abbrach, um sie in der Wasserturm-, Hoppelhasen- und Verwirrenden-Schachbrett-Stadt wieder aufzustellen. Außerhalb der Quadrate, weitab vom Schuss natürlich, weil die Mietpreise nicht einmal ansatzweise dem entsprachen, was ich aus Leipzig gewohnt war. Nicht zu vergessen die verbotene Wohnqualität (Austattung: Sparta), die man bei 10 Euro (20 D-Mark!!/40 Ostmark!!!!)/qm kalt halt mal nicht erwarten würde.
Aber ich will gar nicht groß meckern, sondern Revue passieren lassen, was sich für mich zum Positiven verändert hat. Dazu passend eine Facebook-Erinnerung von vor wenigen Tagen:
Absurd, dass ich mir überhaupt über so was Gedanken machen muss, denn immerhin sollte es Normalität sein, wie ein Mensch behandelt zu werden. Aber ja: Allein schon diese kleinen Erfahrungen haben meine Lebensqualität enorm gesteigert. Besonders stark verändert hat sich die Qualität durch einen weiteren Aspekt:
Mehr Sicherheit
Seitdem ich in Mannheim lebe, habe ich ein anderes Gefühl von Sicherheit. Viele Sicherungsmaßnahmen, die für mich früher selbstverständlich waren, ergreife ich heute nicht oder nicht mehr so stark wie vor ein paar Jahren. Manche Sicherheitsvorkehrungen sind mir sogar erst aufgefallen, nachdem ich nach einer Weile mal wieder in Leipzig war. In Mannheim muss ich nicht den Schlüssel als Waffe parat haben. Ich stelle mich nicht mehr automatisch so an eine Haltestelle, dass man mich nicht vor die Straßenbahn schubsen kann. Überhaupt überlege ich heute auch viel seltener, wo in der Straßenbahn es am sichersten ist. Die drängendste Frage ist heute normalerweise: „Okay, ihr Warzenschweine: Wo isch am wenigschde dreggisch?“ Da fällt mir ein: Meinen Impfschutz müsste ich mal wieder auffrischen lassen.
Neue Freunde
Was wäre eine neue Stadt ohne neue Freunde? In Bezug auf Freundschaften bin ich ein qualitätsbewusster Mensch. Ich pflege wenige, diese aber umso intensiver. Die eigene Familie kannst du dir nicht aussuchen, auf die Auswahl deiner Kollegen hast du auch nicht so viel Einfluss. Da solltest du ruhig genauer hinschauen, mit wem du in deiner freien Zeit abhängst. Nachdem ich meine Freunde aus Leipzig – was mir schon zu schaffen macht – leider nicht mehr so oft sehen kann, freue ich mich umso mehr, dass ich in Mannheim ein paar nette Menschen gefunden habe, mit denen ich gern Zeit verbringe. Von zweien darf ich sogar ab und an das Baby in die Luft werfen. Peepz, ich denke, ihr wisst, dass ihr gemeint seid!! Danke, dass ihr in mein Leben getreten seid. Danke, dass ich an eurem teilhaben darf.
Hack, hack, hurra! #1
Es hat eine Weile gedauert und viel Generve von @cheatha gebraucht, aber 2018 war es endlich soweit: Ich hatte zum ersten Mal genug Energie, um an einem Chaos Event, der Gulaschprogrammiernacht, teilzunehmen. Mehrere Tage war ich von vielen Menschen umgeben und es hat, auch wenn es wirklich sehr kräftezehrend war, richtig viel Spaß gemacht. Von @blinry habe ich gelernt, wie man einen Twitterbot programmiert; den Rest habe ich ehrlich gesagt vergessen. (Achso ja, Kaffeeflatrate! Dass es so was nicht überall gibt, ist ein mittelmäßiger Skandal und gehört eigentlich verboten.) Aber ein Jahr später war ich wieder da (Relaxo FTW) und auch 2020 darf man fest mit mir rechnen. Dieses Mal werde ich mich wohl sogar aufteilen müssen, weil gleichzeitig die #humansconf stattfinden wird. Bei dieser Konferenz liegt der Fokus auf dem menschlichen Aspekt in der IT. Danach werde ich Menschen aber sicher 14 Tage lang nicht mehr sehen können.
Hack, hack, hurra! #2
Keine Ahnung, ob das so ein Ostding ist oder ob es an meiner Familie lag: Ich war noch nie Mitglied in irgendeinem Verein und kenne eigentlich auch sonst nur wenige Menschen, die sich in einem engagieren. Das habe ich mittlerweile geändert: Seit Ende 2018 bin ich offizielles Mitglied im Raumzeitlabor. Das Raumzeitlabor ist ein Hackerspace, in dem sich Hacker (Cyber! Cyber!) und technisch bzw. technisch-künstlerisch interessierte Menschen zusammenfinden und sich austauschen. Im RZL war ich schon zuvor immer mal wieder, also dachte ich irgendwann: Ach, da kannste eigentlich auch gleich Hacker Mitglied werden. Denn dort habe ich meine ersten Gehversuche im Terminal gewagt (geil) und ich habe sogar schon einen ersten, zweiten und dritten Blick auf Linux geworfen (nicht so geil), ich habe mich an Git herangetastet (geil, aber verwirrend) und in der Werkstatt gebastelt (geil, aber unordentlich).
Find ich lustig: Im Raumzeitlabor gibt es ein Regal für sterbende Projekte. Da landen Sachen, worauf die Leute (gerade?) keinen Bock (mehr?) haben. Von meinen Projekten siecht noch keines vor sich hin. Ich pflege eher den digitalen Friedhof. Haha. Aber im Ernst: Mittlerweile kann ich auch nachvollziehen, warum es auch mal nicht mehr weitergeht: Es gibt so dermaßen viele tolle Dinge, die man ausprobieren kann. Aber Zeit ist halt auch ein knappes Gut. Und es dauert, sich in Neues reinzufuchsen. Hat man das geschafft, stellt der wache Geist direkt neue Fragen: Was kann ich noch verbessern? Welche Lösung y gibt es, die x vorzuziehen ist? Kann ich die Weltherrschaft an mich reißen? Oder die Welt wenigstens ein kleines bisschen besser machen? Was mich zum nächsten Punkt bringt:
Hack, hack, hurra! #3
Schon Jahre bevor ich erste Kontakte mit dem RZL hatte, habe ich mich mit Webentwicklung und -design auseinandergesetzt. Besonders mit WordPress hatte ich zu tun, weil ich das CMS seit 2009 für meine Blogs verwende. War immer alles recht high-level, weil es in erste Linie darum ging, meine eigenen Probleme zu lösen und Ideen umzusetzen. Später kamen dann Websites (okay, nennen wir sie Problem- und Gefahrenzonen) anderer Leute hinzu. Durch meine Beschäftigung mit verschiedenen Techniken (Terminal, Git etc. etc.) hat sich meine Arbeit mittlerweile auch auf diesen Gebiet deutlich professionalisiert. Hatte ich so zwar nicht geplant, is‘ aber derbe geil.
Wenn ich heute z.B. wissen will, wie es um die Sicherheit einer mit WordPress betriebenen Website steht, mache ich wie im Schlaf ‘n Terminal auf und scanne die Website. Das ist nicht nur viel einfacher und bequemer, sondern sieht auch noch verdächtig nach Hacking aus. Haha. Früher™ brauchte ich von den Leuten immer erst mal das Passwort oder einen eigenen Account, dann habe ich mich eingeloggt, dann habe ich mich über die vielen Fehlermeldungen und „Buy our premium shit-„Meldungen der viel zu vielen (!) Plugins aufgeregt, dann habe ich die WordPress-Version gecheckt, dann habe ich … Ich glaube, ich muss nicht weiter aufzählen, oder? Bei der Anzahl der Websites, die ich heute betreue, wäre dieses Vorgehen ein ziemlicher Zeitfresser. Und zugegeben: Es macht auch echt Spaß, Schwachstellen herauszufinden oder einfach mal zu schauen, was technisch möglich ist:
Ich, 2015: „Also mein Zeug lass ich nicht im RZL rumliegen. @cheatha hat gesagt, die Leute dort können Magnetstreifen neu beschreiben – und TUN das auch!“
— Ali Schwarzer (@Eishle) January 12, 2020
Ich, heute: „Also die Nutzernamen Ihrer Website lauten: xx, xx, xx. Soll ich Ihre Passwörter auch noch ermitteln?“
Aber auch abseits solcher Aspekte ist meine Arbeit viel effizienter geworden. Wenn ich heute zig Ordner brauche, die überdies alle die gleichen Unterordner haben, dann erledige ich das über das Terminal. Das ist nicht nur viel einfacher und bequemer, sondern sieht auch noch verdäch… Oh, ich wiederhole mich. Früher™ habe ich das alles händisch gemacht (rechte Maustaste, Ordner erstellen, Ordner umbenennen, Ordner öffnen, Unterordn…). Wie so’n Neanderthaler.
Paris, du scheißunfreundliche Stadt!
Ohne Scheiß: Seit dem Jahr 2000 wollte ich mit meinem Leipziger Freund Paris besuchen. Damals hatte ich auf dem Gymnasium gerade die ersten Brocken Französisch gelernt („Bongschur! Ça va?“) und Gefallen an der Sprache gefunden. Aber irgendwie ging sich ein Besuch in der Stadt der Liebe nie aus. Mal lag’s am Geld, mal an der Zeit, mal an der Zeit und am Geld. Aber: Wenn du in Mannheim wohnst, dann hast du einen entscheidenden Vorteil: Mit dem Zug (und etwas Glück TGV, mit Pech ICE) gibt es eine Direktverbindung nach Paris. Das mit dem romantischen Blick über Paris ist übrigens gelogen.
Das mit der Stadt der Liebe übrigens auch. Haben wir nämlich direkt getestet, als mein Freund in Mannheim war und wir dann nach Paris gefahren sind. Mme. Henzschel: NIEMAND IN PARIS beginnt eine Konversation mit „Bonjour! Ça va?“, WIRKLICH NIEMAND! Die Franzosen sind so dermaßen unfreundlich, dass ich mich ehrlich gesagt noch heute wundere, warum mir der Soldat vorm Invalidenmuseum nicht direkt in die Fresse geschossen hat, als ich ihn mit einem fröhlichen „Bonjour! Ça va?“ begrüßte. Aber cool: Als wir uns ein paar timbres kaufen wollten, hat uns spontan eine Französin auf Deutsch geholfen. Da kann ich echt froh sein, dass ich in der Warteschlange bei der Post nicht über Franzosen gelästert hatte. Die Postangestellten in Paris sind nämlich genauso unfreundlich wie die in Deutschland, sprechen aber nur Französisch.
Poetry Slam
Hatte ich hier schon mal ausführlich behandelt, soll in dieser Liste aber nicht fehlen: Seit einem Jahr trete ich bei Poetry Slams auf. Es macht mega viel Spaß und ich habe ein paar coole Leute kennengelernt. Leider auch ein paar arrogante Arschgeigen, aber die coolen scheinen bisher zu überwiegen. Für 2020 habe ich auch bereits ein paar Termine klar gemacht. Dieses Jahr will ich mal schauen, ob ich auch ein bisschen weiter entfernt auftrete. Insgesamt betreibe ich das Hobby eher gemütlich und versuche nicht, so viele Auftritte wie möglich aneinanderzureihen; was wohl eh schon an meinen Bedingungen scheitern würde:
- Man kommt mit dem ÖPNV/der Bahn einigermaßen gut hin.
- Man kommt einigermaßen gut wieder weg, sodass ich nicht auswärts übernachten muss, wenn ich gar nicht so weit von Mannheim entfernt auftrete.
- Die Leute haben da schon mal Schwarze gesehen
- und am Leben gelassen (Sorry, Dresden).
- Der Veranstalter/Slam Master gibt mir schon im Vorfeld das Gefühl, bei ihm gut aufgehoben zu sein.
ISD-Bundestreffen
Natürlich! Was bitte wäre ein Recap ohne ein Verweis auf mein erstes Mal??? Wichtige Erfahrung und wirklich sehr zu empfehlen. Ich habe zwischendurch mal Pause gemacht, allein schon weil es in letzter Zeit so brechend voll war, denke aber darüber nach, dieses oder nächstes Jahr mal wieder vorbeizuschauen. Mein Rücken wird sich über die Jugendherbergsbetten freuen.
Übermedien
Seit 2016 gibt es das Onlinemagazin für Medienkritik und ich bin sehr stolz, dass auch ich ein paar Artikel beisteuern durfte. Fokus lag erwartungsgemäß auf dem Thema Rassismus bzw. Diskriminierung im Medienkontext, aber ich hatte auch schon Nerven bzw. ein nicht zu erklärendes masochistisches Verlangen, mir die MDR-Sendung Exakt genauer anzuschauen. Neulich ist mir aufgefallen, dass ich 2019 gar keinen Artikel veröffentlicht habe. Da dachte ich gleich: Das sollte ich 2020 ändern. Direkt danach dachte ich: Aber die haben schon Samira! Gegen die sehe ich total blass aus (pun intended).
Katzen
Geil! Ich! habe! Katzen! Ok, ok, manchmal auch: „Oh, igitt! Ich habe Katzen!“ Aber meistens ist es geil. Ich wollte schon immer eigene Katzen haben, hatte aber die Anschaffung gescheut. Da ich als Kind einige traumatische Erfahrungen mit Bezug zu Katzen machen musste, war für mich immer klar: Wenn ich mir selber welche hole, dann muss alles perfekt sein.
Nachdem ich akeptiert habe, dass es erstens nicht den perfekten Moment gibt und ich zweitens auch kein perfekter Crazy Cat Dad sein muss, um Tieren ein schönes Leben zu ermöglichen, konnte ich mich sogar von dem Gedanken verabschieden, dass es unbedingt zwei junge Kitten sein müssen. Seit fast einem Jahr habe ich nun zwei Geschwister, die jetzt siebeneinhalb Jahre alt sind. Mit den zweien hatte ich sogar richtig Glück: Die haben zwar wirklich ein paar veritable Macken, sind aber sonst super zutraulich und unterscheiden sich auch noch so weit in ihrem Charakter, dass ich mit dem dicken flauschigen Python viel schmusen und mich mit der irren Perl kabbeln kann. Was ich sehr schön finde: Sie vertrauen mir voll und ganz.
Und noch so viel mehr
Tatsächlich ist dies hier nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was ich in den letzten fünf Jahren erlebt und gemacht habe. Ich bin sogar selbst ein bisschen überrascht, wie viel beim Schreiben zusammengekommen ist. Wenn ich immer mal wieder zurückdenke, glaube ich häufig: Ist ja eigentlich nicht so viel. Aber doch: ist es! Und ich bin längst noch nicht fertig.
Natürlich ist – wie ich öfter berichtet habe – auch in Mannheim nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Aber allein meine nicht vollständige Liste hier zeigt, wie wichtig es für mich war, Leipzig zu verlassen und so überhaupt die Chance zu erhalten, etwas zur Ruhe zu kommen. Daher kann ich wirklich sagen: Ich würde es wieder tun. Auch wenn die Mannheimer das nie glauben wollen. Wer zieht schon gern hierher? Na ich.