Ich habe die letzten Nächte nicht gut geschlafen. Schuld ist die Arbeit. Denn seit ein paar Monaten koordiniere ich die Integration von geflüchteten Menschen in die Hochschulausbildung. Als ich damals nach Mannheim gezogen bin, hätte ich nie gedacht, dass ich mal was mit Asyl zu tun haben würde. Aber das bleibt halt hängen, wenn so viele Menschen nach Deutschland fliehen und hier bei der Integration unterstützt werden müssen. Mein Freund in Berlin arbeitet in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen, eine andere Freundin, ebenfalls in Berlin, koordiniert verschiedene Träger in der Flüchtlingsarbeit. Noch ein Freund bietet Deutschunterricht in Sachsen an. Nope! Nicht für die Sachsen.

Von der Kunst, den richtigen Abstand zu finden

Zusammen mit einem Unternehmen bereiten wir mehr als ein Dutzend geflüchtete Menschen auf ein Studium vor. Gerade neulich fragte mich die Sekretärin eines Fachbereichs: „Wie nah sind Sie eigentlich an den Flüchtlingen dran?“ „Relativ distanziert“, antwortete ich. Und es stimmt.

Nach meinen Erfahrungen mit einem Studienprojekt, das wir in Leipzig in Kooperation mit der Addis Ababa University aufgebaut hatten, habe ich mir geschworen, mich nicht mehr all zu stark zu involvieren. Denn ich musste schnell lernen, dass ein solches Projekt über kulturelle Grenzen hinaus extrem kräftezehrend ist. Besonders in Leipzig, besonders als direkter Ansprechpartner für die Studierenden aus verschiedenen afrikanischen Ländern. Zwar haben jetzt auch die Geflüchteten meine Handynummer, aber sie wissen ganz genau, dass sie mich da ausschließlich in Notfällen anrufen dürfen. Und sie wissen im Gegensatz zu den Äthiopiern damals: Eine kaputte Kaffeemaschine ist kein Notfall.

Dann stimmt es aber auch nicht.

Ich bin doch viel näher dran, als mir lieb ist. Gestern zum Beispiel. Wir mussten zwei Personen mitteilen, dass sie aus formalen Gründen kein Studium aufnehmen dürfen. Das ist bitter, weil die Teilnehmer unseres Vorbereitungskurses natürlich viele Hoffnungen mit einem Studium verbinden. Da wäre die beinahe einmalige Chance, eine gute Ausbildung zu absolvieren, die sie auf jeden Fall weiterbringen würde. Mehr wohl sogar, wenn sie eines Tages in ihre Länder zurückkehren sollten. Da wäre die ganz banale Tatsache, dass sie, während ihr Asylverfahren läuft, nicht zum Nichtstun verdammt sind. Ein Teilnehmer kommt aus Afrika™ und steht damit ganz hinten im Entscheidungsprozess. Seit gut zwei Jahren lebt er hier, sein Interview hatte er noch immer nicht. Kein Interview, kein Anspruch auf Deutsch- und Integrationskurs. Kein Deutsch- und Integrationskurs, mangelnde Integration in die Gesellschaft. You know what I mean …

Entsprechend gedrückt war die Stimmung, als wir den beiden offenbarten, was Sache ist. Es tat weh, die Reaktion einer Person in deren Gesicht ablesen zu können. Shattered dreams. Natürlich haben wir uns zusammen mit dem Unternehmen und anderen wichtigen Beteiligten Gedanken über Optionen gemacht. Außerdem schickte das Jobcenter eine Mitarbeiterin, die die beiden Personen schon kannte, sodass dass die Teilnehmer nicht in ein Loch fallen würden.1

Wenn ich A sage, kommt oft B an. Und C. Und Y.

Das ist uns, denke ich, gut gelungen. Denn als wir das Gespräch beendeten, lächelten sie erleichtert. Dabei ist das über die kulturellen Grenzen hinweg gar nicht so einfach zu bewerkstelligen. Meine Kollegin, die aus dem Norden Deutschlands stammt, und ich, Ossi, sind als direkte Ansprechpartner für die Gruppe quasi Super Germans: Wir sind super direkt, super unemotional, super streng; in Summe: super fies. Denn die Teilnehmer stammen mehrheitlich aus orientalischen Kulturen. Einmal sprachen wir mit dem Kurs, weil er zu langsam war und zu befürchten stand, dass der Stoff nicht geschafft wird, wenn wir das Tempo nicht anziehen. Wir sagten: „Der Kurs ist zu langsam und wir schaffen den Stoff nicht, wenn wir das Tempo nicht anziehen.“ Die Teilnehmer verstanden: „Wir wollen euch hier nicht haben und ziehen daher das Tempo ordentlich an, damit ihr hier rausfliegt!“ Damn you, interkulturelle Kommunikation!

In orientalischen Kulturen, in denen Kommunikation im Vergleich zur deutschen Kultur extrem mit Kontext aufgeladen und indirekt ist, hängen Entscheidungen weniger von Formalien als Beziehungen ab. Würde ich hier z.B. jemanden sagen, dass ich den Chef einer Firma kenne und gern den Lebenslauf weiterleite, dann weiß mein deutsches Gegenüber bei einer Ablehnung: Okay, er hat’s versucht, aber es hat nicht geklappt. Böte ich dasselbe einem Syrer an, dann müsste ich damit rechnen, dass er erbost reagiert: „Wie, das klappt nicht? Ich denke, du kennst den Chef!? Du willst doch nur nicht!“

Das habe ich zum Glück früh in einem interkulturellen Seminar von einer deutsch-iranischen Trainerin gelernt.2 Sonst wäre ich hier schon so manches Mal ausgeflippt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Sauer war ich schon öfter, zum Beispiel wenn sich jemand über etwas beschwerte, das angeblich unfair sei. Aber durch das Training kann ich Aussagen (Was heißt „unfair“?) besser einordnen und so Missverständnisse eher entschlüsseln, was dabei hilft, eine Situation aufzuklären, bevor sie (vollends) eskaliert. Trotz meiner sehr tiefgreifenden Erfahrungen mit Südafrika, wo die Menschen im Vergleich zu Deutschen ebenfalls eher indirekt sind, musste ich mich erst mal in die Denkstruktur der Teilnehmer einfinden. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie künftige Feedbackrunden nicht mehr total aufgeregt verlassen, weil sie glauben, wir hätten gesagt: „Wir schmeißen euch raus!“ Haben wir nicht. Wir haben besprochen, was verbessert werden muss.

„Die sollen sich uns anpassen! Nicht umgekehrt!“

Entsprechend oft bin ich am Ende der Woche total erledigt. Nun stelle man sich vor, welchem Druck die Geflüchteten erst ausgesetzt sein müssen. Im Gegensatz zu mir sind sie ja nicht nur punktuell mit einer neuen Kultur konfrontiert, sondern mussten komplett eintauchen. Ein Sprung ins kalte Wasser. Egal was sie machen, sie müssen lernen, wie das hier läuft. Tja und dann gibt’s die lieben Deutschen, die nichts besseres zu tun haben, als zu jammern: „Die™ müssen sich uns anpassen!1!“

DAS! TUN! SIE! DOCH! Obwohl ich aus Sachsen komme, kann ich bis heute nicht nachvollziehen, woher die Islamisierungsphantasien kommen. Die sollen sich uns anpassen. In den letzten Monaten hörte ich diesen Satz oft. Einmal fiel der, als ich gerade erzählte, dass wir in der Gruppe gern die Formel „Wallah, wallah!“ verwenden, um zu unterstreichen, dass wir etwas ernst meinen. Also eigentlich nichts Dramatisches. Dennoch war es einer Kollegin wichtig, darauf hinzuweisen, wie das zu laufen habe, hier in Deutschland. Aber gut, die Leute gucken auch immer ein bisschen schockiert, wenn ich was Arabisches sage. Vielleicht haben sie ja Angst, dass ich schon konvertiert bin. Haha.

Ich denke, nichts spricht dagegen, wenn wir den Geflüchteten den Einstieg in die Gesellschaft erleichtern und sie – soweit es geht – da abholen, wo sie gerade sind. Das heißt auch, dass wir uns in der Kommunikation öffnen oder andere Annehmlichkeiten anbieten. Man denke etwa an den Ramadan. Die meisten unserer Teilnehmer begehen das Fasten und erklärten, dass die Gebete zu dieser Zeit wichtig sind. Sie haben akzeptiert, dass es in Deutschland nicht üblich ist, andauernd Tätigkeiten fürs Beten zu unterbrechen, aber zumindest während der Fastenzeit haben wir es ihnen ermöglicht, um den Mittag herum ein Gebet einzuschieben. Da die Vorbereitungsgruppe diesbezüglich homogen ist, sahen wir da kein Problem.3 Auch das involvierte Lehrpersonal hat – Juhu! – problemlos mitgespielt.4

„Das ist schon okay, denn Allah sieht das nicht!“

Dass einige Teilnehmer freitags auch noch in die Moschee wollten, musste ich allerdings abbiegen. Zu Beginn hatte ich, der ostdeutsche Atheist, neben den drei Verwaltungsprinzipien5 keine großartigen Argumente, aber Gott sei Dank (*scnr*) haben wir auch einen muslimischen Dozenten, der in der Gruppe lehrt. Der erklärte mir: „Für Allah ist das Studium bzw. die Arbeit genauso wichtig wie das Gebet, sodass man nicht zwingend in die Moschee gehen muss.“ Das hat die Gruppe problemlos akzeptiert.

Außerdem habe ich neulich gelernt: Allah sieht nicht alles! Als ich mit meiner Kollegin gerade in die Mittagspause gehen wollte, sah ich zwei Teilnehmer auf einer Bank sitzen, einer rauchte. Daraufhin fragte ich: „Begehen Sie nicht den Ramadan? Sie dürfen doch gar nicht rauchen!?“ Er entgegnete: „Das ist schon okay! Allah sieht das nicht, weil über mir der Baum ist.“

Wenn der Kurs mal nicht spurt, dann gibt’s Lehre unter freiem Himmel.

Show 5 footnotes

  1. Wäre ich noch in Sachsen, hätte ich die Koordination eines solchen Projekts wohl abgelehnt, weil die Unterstützung dort deutlich geringer wäre und uns vermutlich viel mehr Steine in den Weg gelegt würden, als wir es hier manchmal erleben. Hier gibt es verschiedene Akteure, die kooperieren und versuchen, austrampelte Pfade zu verlassen. Arschlöcher gibt’s aber auch hier.
  2. Mein Lieblingskuriosität: Taarof. <3
  3. Und außerdem: So’n Gebet ist kürzer als ’ne Zigarettenpause!
  4. Mir wäre das zu viel gewesen und ich wäre dann wohl kurz rausgegangen.
  5. 1. Das haben wir schon immer so gemacht. 2. Da könnte ja jeder kommen. 3. Wo kommen wir denn da hin?

CC-BY: Jimmie/Flickr

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