Köln. Mal wieder.

Während die Polizei letztes Jahr zu Silvester durch Abwesenheit glänzte, wollte sie dieses Mal alles richtig machen. Richtig as in: rassistisch sein wie eh und je, zur Abwechslung aber mal ganz offen zur Schau gestellt. Ich will mich gar nicht über den Begriff Nafri aufregen, bei dem anscheinend selbst die Polizei nicht so ganz sicher ist, ob es sich hierbei um eine Abkürzung für Nordafrikaner oder nordafrikanische Intensivtäter handelt. Ist für viele Menschen ja eh dasselbe.

Ich möchte auf zwei wichtige Aspekte hinweisen, die es neben dem der deutschen Gesellschaft ohnehin inhärenten Rassismus extrem schwer machen, über rassistische Verhaltensmuster bei der Polizei zu sprechen und vor allem etwas dagegen zu tun.

Punkt 1: Deutsche Obrigkeitshörigkeit. Wann immer der Deutsche eine Uniform sieht, schlägt er erst einmal die Hacken zusammen. Besser ist das. Später kann man immer noch von nichts gewusst haben. Denn was die Polizei sagt, stimmt. Auch wenn deren Aussagen löchrig wie Schweizer Käse sind, glaubt man der Polizei. Aussagen wie „Irgendwas wird der schon ausgefressen haben“, kennen wir alle. Viele von euch nutzen sie. In einer ganz ekelhaften Form lässt sich das mit Bezug auf Köln feststellen. Unglaublich viele Menschen sagen: „Die Polizei hat Schlimmeres verhindert.“ Achso, hat sie das? Woher weiß die das denn? Kann sie in die Zukunft schauen? Vielleicht mag die Polizei mir die nächsten Lottozahlen durchgeben. Halloohoo! Aufwachen!! Hunderte von Menschen wurden nicht festgehalten, weil sie kriminell sind, sondern weil sie nicht weiß sind. Wenn ihr sagt, dass Schlimmeres verhindert wurde, dann sagt ihr auch, dass ihr der Polizei vorbehaltlos vertraut. Ihr sagt aber auch, dass ihr nichtweiße Menschen per se für kriminell haltet.

Wie war eigentlich die Erfolgsquote? Unter den 650 festgehaltenen Menschen gab es gerade sechs (in Ziffern 6) Personen, die festgenommen wurden. Gegen drei lagen Haftbefehle vor, drei weitere hätten sich illegal in Deutschland aufgehalten. Der Konjunktiv ist wichtig, aber das nur am Rande. Am Abend hat es wohl noch 190 Platzverweise gegeben. Ich habe auch schon mal einen Platzverweis kassiert. Da wartete ich gerade bepackt mit den Nahrungsmitteln für meine Geburtstagsparty auf die Straßenbahn. An der Straßenbahnhaltestelle. Mitten am Tag. Aber wen juckt das schon? Jedes verschissene sächsische Drecksnest flennt rum, dass es nicht – *lol* – vorverurteilt werden will, selbst dann, wenn über 30 Prozent einer 7000-Einwohner-Gemeinde gegen Ausländer unterschreiben. Mir sinn nüsch alle so! Aber es ist okay, wenn Menschen rein prophylaktisch zusammengepfercht werden und dabei nur so ein witzloses Ergebnis rauskommt. Im Grunde hätte die Quote auch 0 betragen können, die meisten wären trotzdem d’accord gegangen.

In Diskussionen beklagen Gewerkschaftsvertreter gern mangelnden Respekt gegenüber Polizeibeamten, und das, obwohl von denselben Gewerkschaften auch behauptet wird, dass die Polizei weiterhin ein sehr hohes Vertrauen genießt.1 In der Bevölkerung genießen die Polizisten ein hohes Vertrauen, gleichzeitig wird gefordert, dass die Bevölkerung respektvoller sein soll? Häh? Das erscheint nur auf dem ersten Blick schräg. Logischer wird das Ganze, wenn man sich bewusst macht, dass es gar nicht um Respekt geht, sondern: Gehorsam. Respekt ist etwas, das allen zusteht, Respekt muss man sich verdienen bzw. kann man auch verspielen. Dass sich Menschen dir gegenüber gehorsam zeigen, steht dir qua Uniform (und Knarre) zu. Du bist eine Autorität, der man sich unterordnen muss.

Keine Kritik oder Zweifel einstecken zu müssen, ist für die Polizei so normal, dass es einer Majestätsbeleidigung gleichkommt, wenn sich jemand (gerichtlich) gegen Ungerechtigkeiten wehrt, oder eine rassistische Kontrolle stört. Reagiert wird dann gern mit Anzeigen, Gegenanzeigen, Gewalt.

Wenn ich erzähle, dass ich Bullen auf den Tod nicht ausstehen kann (und das selbstverständlich sehr ausführlich begründe), reagieren WiPiPo normalerweise auf dieselbe vorwurfsvolle Weise: „Dann hoffe ich, dass du niemals auf die Polizei angewiesen sein wirst, Ali!“ Als würde mein Recht auf Hilfe davon abhängen, dass ich Bullen toll finde. Nein, davon hängt mein Recht nicht ab. Auch nicht davon, dass ich den Bullen gehorche. Was ich aber eh tue, denn anders als beim Durchschnittsweißbrot (Toastscheibe?) hängt bei mir das Leben bzw. die körperliche Unversehrtheit davon ab, dass mein Gegenüber nicht nervös wird oder sich beleidigt fühlt.

Leute, die mir diesen Satz um die Ohren hauen, sind so unfassbar privilegiert, dass sie noch nicht mal checken, wie viel Glück sie haben, z.B. wenn sie nicht bestraft werden, obwohl sie bei Rot über die Straße fahren, während sie fasziniert die ostige Umgebung anstarren. NATÜRLICH HABEN DIE EIN BESSERES BILD VON BULLEN!!! Ich als Schwarzer käme dagegen gar nicht erst auf die Idee, so unaufmerksam zu sein. Denn ich bin, obwohl ich alle Regeln übererfülle, einem enorm hohen Risiko ausgesetzt. Ich werde nicht etwa angehalten, weil ich mich verdächtig verhalten oder gar gegen Gesetze verstoßen würde, sondern weil die Bullen rassistisch agieren und entscheiden. Ich werde bei einer allgemeinen (!) Verkehrskontrolle (!) mit gezogener Waffe angehalten, weil sich die Zipflklatscher2 in Zivil nicht vorstellen können, dass zwei schwarze Menschen in einem gepflegten Toyota durch die Gegend fahren können. Und es gibt noch viel mehr, was denen suspekt erscheint.

Als nichtweiße Person wirst du (nicht abschließend) angehalten/verfolgt/kontrolliert/schikaniert, wenn …

  • du Zug fährst(PKS3: Verstoß gegen Einreisebestimmungen)
  • du dabei aus dem Fenster guckst (PKS: Entzieht sich der Kontrolle.)
  • du die Bullen anguckst (PKS: Provokation!)
  • dein Auto zu schick ist (PKS: Geklaut/Prostitution/Kriminalität)
  • dein Auto zu schlampig ist (PKS: Geklaut)
  • du auf einer Reise Gepäck dabei hast (PKS: Verstoß gegen Einreisebestimmungen)
  • du auf einer Reise kein Gepäck dabei hast (PKS: Verstoß gegen Einreisebestimmungen)
  • du zu gut angezogen bist (PKS: Drogendealer)
  • du zu schlecht angezogen bist (PKS: Flüchtling)
  • du mit dem Flugzeug reist (PKS: Verstoß gegen Einreisebestimmungen)
  • du auf der Straße läufst (PKS: Krimineller!)
  • du zu langsam läufst (PKS: Krimineller!!)
  • du zu schnell läufst (PKS: Krimineller!!!)
  • du zu viel (!) Geld abhebst (PKS: EC-Karte geklaut)
  • du mit dem Taxi fährst (PKS: Flüchtling)
  • du mit Mitfahrgelegenheiten fährst (PKS: Flüchtling)
  • du telefonierst (PKS: Drogendealer)
  • du abends mit deinem Hund Gassi gehst (PKS: Da weiß ich jetzt auch nicht …)

Als Toastscheibe musst du erst was „angestellt“ haben, also dich als Zugehöriger einer Gruppe (z.B. Fußballfans) outen, dich „verdächtig“ verhalten oder sogar gegen irgendwelche Regeln verstoßen. Sehr wahrscheinlich wird dir trotzdem nichts passieren. Als nichtweiße Person reicht deine nackte Existenz:

„‚Wir wollen nicht den kontrollieren, der unauffällig ist, uns interessiert, wenn etwas nicht zusammenpaßt.‘ Wenn einer zum Beispiel in einem teuren Auto sitzt, ‚dem man nicht zutraut, daß er schon mal 100 Mark selber verdient hat‘.“

— Günther Beckstein4

„Nicht der Familienvater und der Tourist aus Holland ‚mit Skibrettern auf dem Autodach‘ würden kontrolliert, vielmehr müsse ‚das Gesamtbild stimmen‘.“

— Leiter einer Fahndungseinheit5

Ihr könnt ja mal in euch gehen: Hätte ein Familienvater aus Holland mit Skibrettern auf dem Autodach eine Chance, wenn er schwarz ist? Wenn ihr ehrlich seid: nein.

Punkt 2 (der ist kurz, versprochen): Ein wichtiger Aspekt, der mir zu wenig thematisiert wird: Um bei der Polizei zu arbeiten, muss man keine besondere Leuchte sein. Die Aufgabe eines Polizisten besteht nicht darin, zu hinterfragen oder zu kritisieren, sondern: ein System zu bewahren. Du erhältst einen Befehl und den befolgst du. Egal, wie gut oder schlecht das System ist, in dem du lebst. Und wenn du doch mal frech wirst, zum Beispiel indem du durch gute Ermittlungsarbeit auf ein Naziproblem hinweist, dann wirst du halt versetzt und musst den Verkehr regeln. Ich behaupte, dass kritische, zumal linke, Denker normalerweise nicht zur Polizei gehen; und mir wird immer ganz warm ums Herz, wenn ich doch mal einen kritischen Polizisten treffe, was allenfalls auf einer Veranstaltung passiert.

Und auch sonst gibt es bei der Polizei ein heftiges Missverhältnis in der Zusammensetzung des Personals: kaum Frauen6, kaum Migranten7. Warum auch? Als Kind8 wollte ich auch Polizist werden. Da kannte ich aber auch nur den Stereotypen vom Freund und Helfer: Polizisten sind die Guten, schützen Unschuldige und machen Jagd auf Verbrecher. Je älter ich wurde, desto öfter musste ich erleben: Für die Polizei bist DU der Verbrecher. Du bist schuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Ach, eigentlich bist du dann immer noch schuldig. Man hat nur dieses Mal nichts gefunden.

Glaubt hier wirklich jemand, dass in so einem Klima rassistische Stereotype aufgebrochen werden können? Oder dass es mir Spaß machen würde, als Polizist zu arbeiten? Das glaubt wahrscheinlich die Polizei nicht mal selber. Wenn man die Polizei (oder Regierung) mit Rassismus bzw. Racial Profiling konfrontiert, dann läuft das in der Regel so ab:

Betroffene/r: Ich bin Opfer von Racial Profiling!

Polizei: Das kann nicht sein! Das wäre rassistisch, deshalb gibt es das nicht.

Betroffene/r: Ich wurde aber 23 mal kontrolliert. In nur neun Monaten.

Polizei: SRSLY? I! AM! SHOCKED! Aber rassistisch ist das trotzdem nicht.

Vielleicht könnt ihr unkritischen Geister jetzt besser nachvollziehen, warum wir von Racist Profiling Betroffenen uns nicht über die Aktion in Köln freuen. Ob ihr es wollt, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Show 8 footnotes

  1. Das Argument wird gern vorgebracht, wenn über Polizeigewalt z.B. im Rahmen von Fußballspielen diskutiert wird und man so was als Einzelfall darstellen möchte.
  2. Ja, ganz recht: Bayern!
  3. Polizeilicher Kurzschluss
  4. Martin Herrnkind (2002): Personenkontrollen und Schleierfahndung, S. 192
  5. Martin Herrnkind (2002): Personenkontrollen und Schleierfahndung, S. 193
  6. Ich las gerade, dass in Baden-Württemberg Frauen bei der Schutzpolizei erst seit 1987 eingestellt werden. Frauenanteil: 14,3%. Anteil bei der Kripo: 15,2%. Alle Zahlen scheinen von 2010 zu stammen.
  7. Die Zahl der Migranten wird laut derselben Broschüre gar nicht erst erfasst.
  8. Ich mag immer noch den Beruf an sich, würde mich aber eher für eine Tätigkeit beim LKA und BKA interessieren, nicht nur, weil ich die leise Hoffnung habe, dass es da nicht so übel zugeht. Wenn ich mir aber andererseits die Ermittlungsarbeit etwa bei den NSU-Morden anschaue …

Bild: Alex Proimos, CC-BY-NC

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